Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)
maximal überbelastet. Arbeitet der Investor mit Leverage, landen wir bei der Geschichte von Long-Term Capital Management, das sich, wie sich herausstellte, von den Parametern hatte in die Irre führen lassen. (Im wirklichen Leben haben die Dinge, anders als in wirtschaftswissenschaftlichen Abhandlungen, die Tendenz, sich zu verändern; um Baals willen – sie verändern sich!) Wir können den Gedanken für jeden Parameter σ wiederholen und sehen, wie eine Zu-Gering-Schätzung von diesem σ Überbelastung zur Folge hat.
Als Trader, für den dieser ganze Zusammenhang darüber hinaus auch noch eine Art persönlicher Obsession darstellte, habe ich beobachtet, dass sich Korrelationen in unterschiedlichen Messmethoden nie gleich darstellen. Unbeständig wäre eine viel zu milde Bezeichnung: 0,8 über eine lange Periode wird zu -0,2 über eine andere lange Periode. Ein reines Dummkopf-Spiel. In Stresszeiten unterliegen Korrelationen sogar noch abrupteren Veränderungen – und zwar ohne irgendeine verlässliche Regularität, trotz aller Versuche, »Stresskorrelationen« im Modell abzubilden. Taleb (1997) arbeitet mit den Auswirkungen stochastischer Korrelationen: Man ist erst auf der sicheren Seite, wenn man bei einer Korrelation von 1 short geht und bei -1 kauft – was dem Prinzip der 1/n-Heuristik zu entsprechen scheint.
Kelly-Kriterium versus Markowitz: Um eine vollständige Optimierung im Sinne von Markowitz umzusetzen, muss man die gesamte (mehrdimensionale) Wahrscheinlichkeitsverteilung sämtlicher Investments für die gesamte Zukunft kennen, zuzüglich der exakten Nutzenfunktion für Vermögen für alle zukünftigen Zeiten. Und das alles ohne Fehler! (Ich habe gezeigt, wie Schätzfehler das System sprengen.) Kellys ungefähr zur selben Zeit entwickelte Methode kommt ohne gemeinsame Verteilung oder Nutzenfunktionen aus. In der Praxis braucht man das Verhältnis des erwarteten Gewinns zum Worst-Case-Ertrag – dynamisch angepasst, um einen finanziellen Ruin zu vermeiden. Im Fall der Hanteltransformationen ist der Worst Case abgesichert. Und der Modellfehler fällt mit dem Kelly-Kriterium sehr viel glimpflicher aus. Thorp (1971, 1998), Haigh (2000).
Nach Meinung des überragenden Aaron Brown wurden Kellys Ideen trotz ihres praktischen Nutzens von den Wirtschaftswissenschaftlern wegen deren ausgeprägtem Hang zu umfassenden Theorien für sämtliche Vermögenswerte abgelehnt.
Man beachte, dass ein begrenztes Vorgehen nach dem Versuch-und-Irrtum-Prinzip mit dem Kelly-Kriterium vereinbar ist, wenn man eine Vorstellung von dem potentiellen Ertrag hat – und selbst wenn man die Erträge nicht kennt, wird die Auszahlung, wenn die Verluste begrenzt sind, robust sein, und die Methode wird derjenigen des Fragilisten Markowitz überlegen sein.
Unternehmensfinanzierung: Unternehmensfinanzierung scheint, kurz gesagt, auf Punktprojektion, nicht auf Verteilungsprojektion zu beruhen; wenn man also die Kapitalflussprojektion im Gordon’schen Bewertungsmodell stört, indem man das festgesetzte – und bekannte – Wachstum (und andere Parameter) durch ständig wechselnde Sprünge (vor allem unter Verteilungen mit Fat Tails) ersetzt, dann könnten Firmen, die als »teuer« eingestuft wurden, oder solche mit hohem Wachstum, aber geringen Erträgen, merklich im Erwartungswert steigen – ein Umstand, den der Markt immerhin heuristisch honoriert, allerdings ohne explizite Begründung.
Schlussfolgerung und Zusammenfassung: Etwas, das das wirtschaftswissenschaftliche Establishment bislang noch nicht begriffen hat: Wenn man das richtige Modell hat (eine sehr wohlwollende Annahme), sich aber bezüglich der Parameter nicht sicher ist, wird das unweigerlich zu einer Zunahme der Fragilität führen, wenn Konvexität und Nichtlinearitäten mit im Spiel sind.
Kleine Wahrscheinlichkeiten: Vergessen Sie’s!
Und nun – über die Wirtschaftswissenschaften hinaus – das allgemeinere Problem der Wahrscheinlichkeit und ihrer Fehlmessung.
Wie Fat Tails (Extremistan) aus nichtlinearen Reaktionen auf Modellparameter entstehen
Seltene Ereignisse haben eine ganz bestimmte Eigenschaft, die bis zum Zeitpunkt der Fertigstellung dieses Buchs noch keinem aufgefallen ist. Wir arbeiten mit seltenen Ereignissen, wenn wir ein Modell verwenden, eine Vorrichtung, in die man einen Inputparameter gibt, und heraus kommt die Wahrscheinlichkeit. Je höher die Parameter-Ungewissheit in einem Modell zur Berechnung von Wahrscheinlichkeiten ist, desto stärker ist
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