Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)
dazu einlädt, hineinzuschlagen, so wie ein Nusshörnchen einen einlädt, hineinzubeißen. Mein Verleger dachte einen Augenblick lang nach … nein, er zog nicht ernsthaft in Erwägung, dass ich es tat, aber – dem Absatz des Buchs wäre es ganz bestimmt nicht abträglich. Nichts, womit ich es als Autor auf die Titelseite des Corriere della Sera schaffe, könnte meinem Buch schaden. Ein Künstler oder Schriftsteller kann von fast jedem Skandal profitieren. 12
Nehmen wir nun einmal an, ich wäre ein leitender Angestellter im mittleren Management von irgendeinem Unternehmen, das an der Londoner Börse notiert ist, einer dieser Typen, die bei keiner Gelegenheit in zwangloser Kleidung auftreten, sondern prinzipiell immer in Anzug und Krawatte daherkommen (sogar am Strand). Was würde mir passieren, wenn ich auf den Fragilisten losginge? Mein Rausschmiss und die Haftstrafe würden mich mein Leben lang verfolgen. Ich wäre das absolute Opfer informationeller Antifragilität. Wenn jemand aber nur etwas mehr als den Mindestlohn verdient – sagen wir ein Bauarbeiter oder ein Taxifahrer –, dann ist er von seinem Ruf nicht übermäßig abhängig und wäre also frei, seine eigenen Ansichten zu haben. Er wäre robust, aber auch – verglichen mit dem Künstler, der antifragil ist – nicht mehr als das. Ein Bankangestellter in mittlerer Position mit einer Hypothek, die er abzuzahlen hat, wäre dagegen extrem fragil. Er wäre ein so vollständig Gefangener des herrschenden Wertesystems, dass er bis ins Herz korrupt sein müsste – da er eben abhängig ist von seinem jährlichen Urlaub auf Barbados. Dasselbe gilt für einen Beamten in Washington. Benutzen Sie folgende einfache Heuristik (eine Heuristik ist, es sei noch einmal gesagt, eine einfache, komprimierte Faustregel), um die Unabhängigkeit und Robustheit des Ansehens einer Person abzuschätzen: Mit wenigen Ausnahmen sind diejenigen, die sich unmöglich anziehen, entweder robust oder sogar antifragil, was ihren Ruf angeht; die glatt rasierten Typen, die nur in Anzug und Krawatte auftreten, sind bezüglich Informationen über sie fragil.
Große Unternehmen und Regierungen haben offenbar kein Verständnis für dieses Rückstoß-Potential von Information und ihre Fähigkeit, diejenigen zu kontrollieren, die sie kontrollieren wollen. Wenn Sie hören, dass ein Unternehmen oder eine verschuldete Regierung versucht, »verlorenes Vertrauen wiederherzustellen«, dann wissen Sie, dass sie fragil, also zum Scheitern verurteilt ist. Information ist gnadenlos: Eine einzige Pressekonferenz mit dem erklärten Ziel der »Beruhigung« wird die Investoren in die Flucht schlagen und eine Todesspirale oder einen Run auf die Bank auslösen. Was erklärt, weswegen ich ein erklärter Gegner von Staatsverschuldungen, das heißt entschiedener Vertreter eines so genannten fiskalen Konservatismus bin. Wenn Sie keine Schulden haben, kann Ihnen Ihr Ruf in Wirtschaftskreisen gleichgültig sein – und letztlich werden Sie wohl nur dann einen guten Ruf haben, wenn er Ihnen gleichgültig sein kann. Es ist wie bei Verführungen: Die Menschen tendieren dazu, denen am meisten zu geben, die am wenigsten brauchen.
Und wir sind für diese Informations-Antifragilität blind, auch auf anderen Gebieten. Wenn ich in der Zeit unserer Urahnen einen Rivalen physisch niedergeschlagen hätte, hätte ich ihn verletzt, geschwächt, vielleicht sogar endgültig eliminiert – und ich hätte ein gewisses körperliches Training gehabt. Wenn ich die Mafia einsetze, um ihn auszuschalten, ist er weg. Wenn ich aber auf Websites und in Zeitschriften ein Sperrfeuer aus Informationsattacken gegen ihn eröffne, dann werde ich sehr wahrscheinlich ihm nützen und mir selbst schaden.
Stellen wir also zum Abschluss dieses Kapitels fest, wie verblüffend es doch ist, dass diejenigen, von denen wir am meisten profitiert haben, nicht die sind, die versucht haben, uns zu unterstützen (beispielsweise mit »Ratschlägen«), sondern vielmehr diejenigen, die aktiv versucht haben, uns zu schaden – und damit gescheitert sind.
Im nächsten Kapitel wenden wir uns einer zentralen Unterscheidung zu zwischen Dingen, die Stress vertragen, und anderen Dingen, bei denen das nicht der Fall ist.
7 Cato war der Politiker, der in Narren des Zufalls sämtliche Philosophen aus Rom vertreiben ließ.
8 Dieses kleine bisschen Mehr an Anstrengung führt offenbar dazu, dass zwischen zwei mentalen Systemen, einem intuitiven und einem analytischen,
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