Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)
hatte; als er kurz danach starb, nahm sie sich auf vorbildliche Weise seines literarischen Nachlasses an.
Autoren wie Lukrez (den wir im Zusammenhang mit den hohen Bergen in diesem Kapitel weiter oben bereits erwähnt haben) mögen noch so vehement gegen die durch Liebe verursachte Abhängigkeit, Gefangenschaft und Entfremdung gewettert und sie als (zu vermeidende) Krankheit gesehen haben – letztlich haben sie damit uns oder sich selbst belogen. Vielleicht ist es ja bloß eine Legende, dass Lukrez, der Hohepriester der Liebesentzauberung, selbst in eine unheilbare – antifragile – Verliebtheit verstrickt war.
Ähnlich wie Liebesqualen sind bestimmte Gedanken so antifragil, dass man sie verstärkt, wenn man versucht, sie loszuwerden; anstatt zu verschwinden, wachsen sie sich zu Obsessionen aus. Psychologen beschreiben die Ironie, die in der Gedankenkontrolle liegt, so: Je mehr Energie man dafür aufbringt, seine Meinungen und Gedanken zu kontrollieren, desto mehr kontrollieren die Meinungen am Ende einen selbst.
Bitte verbieten Sie mein Buch: Die Antifragilität von Informationen
Information ist antifragil; sie wird nicht so sehr durch den Versuch stärker, sie zu befördern, als dadurch, ihr zu schaden. Viele vernichten ihren Ruf nur, indem sie versuchen, ihn zu retten.
Die listigen Venezianer wussten, dass man Informationen am besten streut, indem man sie als Geheimnis tarnt. Versuchen Sie einmal folgendes Experiment zur Verbreitung von Klatsch: Erzählen Sie irgendjemandem ein Geheimnis und bezeichnen Sie es als eines, das Ihr Zuhörer »ja niemandem weitererzählen« darf; je nachdrücklicher Sie unterstreichen, dass es geheim bleiben muss, desto schneller wird es sich ausbreiten.
Wir alle haben schon früh gelernt, dass Bücher und Ideen antifragil sind und von Angriffen nur profitieren können – nach einem Spruch des römischen Kaisers Mark Aurel (einem der Macher unter den Autoren der Stoa) »ernährt sich Feuer von Hindernissen«. Verbotene Bücher haben eine große Anziehungskraft – sie sind gegen Verbote antifragil. Das erste Buch, das ich in meiner Kindheit von Graham Greene las, war Die Kraft und die Herrlichkeit – einzig und allein aus dem Grund, dass es vom Vatikan auf den Index Librorum Prohibitorum gesetzt (also verboten) worden war. Als Teenager verschlang ich aus demselben Grund die Bücher des von den USA ausgebürgerten Schriftstellers Henry Miller – sein bestes Buch verkaufte sich innerhalb eines Jahres eine Million Mal, was sich dem Umstand verdankte, dass es in 23 Staaten verboten war. Dasselbe gilt für Madame Bovary oder Lady Chatterleys Liebhaber.
Eine bestimmte Art von Kritik ist für ein Buch ein echtes, unverfälschtes Signal dafür, dass es nicht langweilig ist – und Langeweile ist das Einzige, was ein Buch wirklich schlecht macht. Denken Sie nur an das Ayn-Rand-Phänomen: Ihre Bücher Atlas wirft die Welt ab und Der ewige Quell wurden über ein halbes Jahrhundert lang von Millionen Menschen gelesen, trotz – oder besser gesagt wohl wegen – fürchterlich übler Kritiken und Versuchen, die Autorin in Verruf zu bringen. Die wichtigste Information ist die Intensität: Was zählt, ist die Anstrengung, die die Kritiker investieren, um zu verhindern, dass andere ein Buch lesen – oder allgemeiner gesagt, es ist die Anstrengung, jemanden schlechtzureden, der wirklich zählt, wobei es gar nicht so sehr darauf ankommt, was gesagt wird. Wenn Sie also wollen, dass andere ein bestimmtes Buch lesen, dann erwähnen Sie mit einer gewissen Entrüstung, es werde »überschätzt« (und verwenden Sie das Prädikat »unterschätzt« für den entgegengesetzten Effekt).
Balzac erzählt von Schauspielerinnen, die Journalisten (häufig in Naturalien) dafür bezahlten, dass sie lobende Kritiken schrieben – die klügsten aber baten um Verrisse, wussten sie doch, dass das ihrer Bekanntheit mehr Auftrieb gab.
Kürzlich habe ich mir Tom Hollands Buch über die Entstehung des Islam gekauft – und zwar nur aus dem Grund, dass Glen Bowersock, anerkanntermaßen der wichtigste Fachmann für die Geschichte der römischen Levante, eine vernichtende Kritik des Buchs geschrieben hatte. Davor war ich der Meinung gewesen, Tom Holland sei lediglich ein Populärwissenschaftler, den man nicht weiter ernst nehmen muss. Ich habe mich nicht einmal der Mühe unterzogen, Bowersocks Besprechung zu lesen. Es gilt die einfache Faustregel (eine Heuristik): Um die Qualität einer Untersuchung abzuschätzen,
Weitere Kostenlose Bücher