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Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)

Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)

Titel: Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nassim Nicholas Taleb
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, dem »passiven Handeln«.
    Nur wenige begreifen, dass Prokrastination ein natürliches Abwehrsystem ist, das dafür sorgt, dass die Dinge ihren eigenen Gang gehen und ihre Antifragilität entfalten; Prokrastination wurzelt in einer Art ökologischer, natürlicher Weisheit und ist nicht immer schlecht – auf der existentiellen Ebene rebelliert mein Körper gegen seine Vereinnahmung. Meine Seele lehnt sich gegen das Prokrustesbett der Moderne auf. Zugegeben, meine Steuererklärung macht sich nicht von allein – wenn ich aber einen Besuch beim Arzt, bei dem es nicht um lebensnotwendige Fragen geht, aufschiebe, oder die Abfassung eines Abschnitts vertage, bis mein Körper mir zu verstehen gibt, dass ich dafür bereit bin, dann benutze ich wahrscheinlich einen sehr wirksamen natürlichen Filter. Ich schreibe nur, wenn mir danach ist; ich schreibe nur über Themen, die mir wirklich liegen – und der Leser ist kein Narr. Für mich ist Prokrastination eine Information meines inneren Selbst und meiner weit zurückreichenden evolutionären Vergangenheit, die mich davor bewahrt, bei meinem Schreiben interventionistisch vorzugehen. Allerdings gibt es Psychologen und Verhaltensökonomen, die meinen, Prokrastination sei eine Krankheit , die behandelt und geheilt werden muss. 30
    Prokrastination wurde bislang noch nicht hinreichend pathologisiert: Manche bringen sie in einen Zusammenhang mit Akrasia, einer Form von fehlender Selbstkontrolle oder Willensschwäche, die schon Platon thematisierte; andere mit Abulie, dem Fehlen von Willensimpulsen. Und die Pharmaindustrie wird womöglich eines Tages eine Pille dagegen auf den Markt bringen.
    Auch bei medizinischen Behandlungsmethoden ist Prokrastination von Nutzen: Wie wir gesehen haben, schützt sie uns vor Irrtümern, indem sie der Natur die Möglichkeit gibt, ihren Job zu machen – und man kommt um die lästige Tatsache nun einmal nicht herum, dass die Natur nicht so fehleranfällig ist wie Wissenschaftler. Psychologen und Ökonomen, die sich mit »Irrationalität« beschäftigen, bemerken nicht, dass Menschen nur dann zur Prokrastination neigen, wenn die Situation nicht lebensbedrohlich ist. Ich zaudere nicht, wenn ich sehe, dass ein Löwe in mein Schlafzimmer eindringt oder die Bibliothek meines Nachbarn in Flammen steht. Ich zaudere nicht, wenn ich mir eine schwere Verletzung zugezogen habe. Ich zaudere nur im Zusammenhang mit unnatürlichen Verpflichtungen und Abläufen. Einmal habe ich eine Wirbelsäulenoperation aufgeschoben, zu der mir nach einer Rückenverletzung geraten worden war. Nach einem Wanderurlaub in den Alpen und anschließendem Gewichtstraining war ich meine Rückenprobleme vollständig los. Mein Instinkt (der innere Bullshit-Detektor) ermöglichte mir, diese nicht unmittelbar notwendige Operation aufzuschieben und die Risiken zu minimieren, aber Psychologen und Ökonomen verlangen von mir, dass ich diesen Instinkt abwürge – ein Ansinnen, das sich frontal gegen die Antifragilität meines Körpers richtet. Da Prokrastination eine Botschaft unserer naturgegebenen Willenskraft ist, die sich in Form geringer Motivation äußert, kann sie nur durch eine Veränderung der Umgebung oder des Berufs geheilt werden, indem man also Bedingungen schafft, unter denen man nicht gegen seine Impulse ankämpfen muss. Nur wenige ziehen die logische Schlussfolgerung, stattdessen so zu leben, dass Prokrastination als natürliche, risikobasierte Form der Entscheidungsfindung sinnvoll wird.
    Ich richte die Abfassung der Absätze dieses Buchs an Prokrastinationskriterien aus. Wenn ich zögere, einen bestimmten Abschnitt zu schreiben, muss er eben wegfallen. Es handelt sich dabei um eine ganz schlichte moralische Frage: Warum sollte ich die Leute zum Narren halten, indem ich über ein Thema schreibe, zu dem es mich nicht innerlich drängt? 31
    Wenn ich das Problem unter ökologischen Kriterien bedenke, dann handelt ein Mensch, der Dinge vor sich herschiebt, nicht irrational; es ist seine Umgebung, die irrational ist. Und noch irrationaler verhält sich der Psychologe oder Ökonom, der einen solchen Menschen als irrational bezeichnet.
    Wir Menschen sind einfach nicht sehr gut im Filtern von Informationen, vor allem bei Kurzzeitinformationen, und Prokrastination könnte für uns eine Möglichkeit sein, besser zu filtern und dem Drang zu widerstehen, uns auf eine Information zu stürzen, wie wir gleich sehen werden.
    Diese Idee des »Natürlichen« hat zu einiger Verwirrung geführt.

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