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Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)

Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)

Titel: Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nassim Nicholas Taleb
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der Nachrichten und Marktpreisschwankungen, dann ergibt sich eine Aufteilung von 99,5 Prozent Geräusch zu 0,5 Prozent Signal. Das wäre zweihundertmal so viel Geräusch wie Signal – und darauf ist es zurückzuführen, dass jeder, der sich den Nachrichten aussetzt (abgesehen von denen über wirklich sehr, sehr wichtige Ereignisse), noch eine Stufe unter den Dummköpfen rangiert.
    Zeitungen sind iatrogen, das heißt sie haben schädliche Nebenwirkungen. Sie müssen jeden Tag ihre Seiten in einem bestimmten Umfang mit einer Reihe von Nachrichten füllen – vor allem mit solchen, die auch in anderen Zeitungen vorkommen. Um die Sache wirklich richtig zu machen, müssten sie lernen, sich zurückzuhalten, wenn es keine signifikanten Nachrichten gibt. Zeitungen wären idealerweise an einigen Tagen zwei Zeilen, an anderen zweihundert Seiten lang – je nach Intensität des Signals. Aber die Zeitungsverlage wollen natürlich Geld verdienen und müssen uns deshalb Junkfood verkaufen. Und Junkfood hat schädliche Nebenwirkungen.
    Die Sache hat auch eine biologische Seite. Ich habe bereits verschiedentlich darauf hingewiesen, dass in einer natürlichen Umgebung Stressoren gleichbedeutend sind mit Information. Zu viel Information wäre also zu viel Stress, die Schwelle der Antifragilität würde überschritten. In der Medizin entdeckt man gegenwärtig die heilende Wirkung des Fastens, die mit dem Ausfall des Hormonschubs zusammenhängt, der mit der Nahrungsaufnahme einhergeht. Hormone übermitteln an die unterschiedlichen Teile unseres Systems Information, und zu viel Information bringt unseren Organismus durcheinander. Es ist dasselbe wie bei den in zu hoher Frequenz rezipierten Nachrichten: Zu viel Information wird schädlich – tägliche Nachrichten und Zucker irritieren unser System auf genau dieselbe Weise. Im vierundzwanzigsten Kapitel (über Moral) werde ich zeigen, wie es kommt, dass zu viel Information (vor allem zu viel sterile Information) dazu führen kann, dass Statistiken überhaupt nichts mehr aussagen.
    Hinzu kommt noch ein psychologischer Faktor: Wir verstehen diesen Umstand nicht ohne Weiteres und reagieren deshalb auf bedeutungsfreies Rauschen zu heftig. Am besten wäre es, ausschließlich auf die sehr großen Daten oder Umstände zu achten, nie auf die kleinen.
    Ebenso wie wir sehr wahrscheinlich nicht einen Bären für einen Felsbrocken halten (dann schon eher einen Felsbrocken für einen Bären), ist es für einen vernunftbegabten Menschen mit klarem Verstand, der nicht in Daten ertrinkt, fast ausgeschlossen, ein vitales, für sein Überleben wichtiges Signal fälschlich für ein unbedeutendes Geräusch zu halten – es sei denn, er ist überängstlich, übersensibel und neurotisch und also abgelenkt und verwirrt aufgrund anderer Botschaften. Signifikante Signale machen sich normalerweise unmissverständlich bemerkbar. In der Geschichte mit den Mandeloperationen wäre der beste Filter gewesen, lediglich die Kinder zu behandeln, die sehr krank waren und immer wieder unter Halsentzündung litten.
    Mediengesteuerte Neurosen
    Von der in den Medien üblichen Verherrlichung von Anekdoten geht sehr viel Rauschen aus. Deshalb leben wir zunehmend in einer virtuellen Realität, abgeschnitten von der wirklichen Welt, jeden Tag etwas mehr, und wir bemerken es immer weniger. Täglich sterben 6200 Menschen in den USA , darunter viele aus Gründen, die vermeidbar gewesen wären. Die Medien berichten aber lediglich über die anekdotenhaften, sensationellen Fälle (Hurrikans, außergewöhnliche Unfälle, Flugzeugabstürze), was unsere innere Landkarte hinsichtlich der tatsächlichen Risiken vollkommen verzerrt. Früher, bei unseren Vorfahren, war die Anekdote, das »Interessante«, wirklich Information; heute ist das nicht mehr so. Außerdem erzeugen die Medien, indem sie uns mit Erklärungen und Theorien versorgen, in uns die Illusion, wir würden die Welt verstehen.
    Die Art und Weise, wie Presseleute Ereignisse (und Risiken) verstehen, ist allerdings derart retrospektiv, dass sie die Sicherheitschecks nach dem Flug anordnen würden – also im Sinn des post bellum auxilium handeln würden, die Truppen schicken, wenn die Schlacht vorüber ist. Aufgrund von Kontextabhängigkeit vergessen wir, wie notwendig es ist, unsere innere Landkarte mit der Realität abzugleichen. Daher leben wir in einer immer fragileren Welt und haben gleichzeitig den Eindruck, wir verstünden sie immer besser.
    Am wirkungsvollsten lässt sich

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