Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)
kontrollieren? Als Grundsatz kann gelten, dass sich Interventionen bei der Begrenzung von Größen (etwa von Gesellschaften, Flughäfen oder Verschmutzungsquellen), von Konzentrationsprozessen und von Geschwindigkeit vorteilhaft für die Reduzierung von Schwarzer-Schwan-Risiken auswirken können. Solche Vorstöße sind wahrscheinlich frei von schädlichen Nebenwirkungen – allerdings dürfte es schwerfallen, Regierungen dazu zu bewegen, die Größe ihres Verwaltungsapparats zu begrenzen. Beispielsweise gibt es seit den 1970er Jahren das Argument, ein Tempolimit auf der Autobahn (und seine konsequente Umsetzung) habe einen markanten Anstieg an Sicherheit zur Folge. Das leuchtet ein, denn das Unfallrisiko erhöht sich disproportional (also nichtlinear ) im Verhältnis zur Geschwindigkeit, und wir Menschen haben dafür von Natur aus kein Gespür. Wenn jemand in seinem Riesenschlitten mit rücksichtsloser Geschwindigkeit angefahren kommt, dann bedroht er meine Sicherheit und muss gestoppt werden, bevor er mit meinem kleinen Mini-Cabriolet zusammenknallt – oder er muss in eine Situation gebracht werden, in der er derjenige ist, der den Genpool verlässt, und nicht ich. Geschwindigkeit ist ein Phänomen der Moderne, und ich empfinde grundsätzlich Argwohn gegenüber den verborgenen Fragilitäten, die aus diesem post-natürlichen Zustand resultieren – in den Kapiteln 18 und 19 werde ich dazu einen technischen Beweis liefern.
Allerdings kann ich das gegenteilige Argument ebenso gut nachvollziehen: dass nämlich einschränkende Straßenschilder die Risiken nicht zu reduzieren scheinen, da die Verkehrsteilnehmer dann teilnahmsloser werden. Experimente zeigen, dass die Wachsamkeit nachlässt, wenn man die Kontrolle einem System übergeben kann (auch hier fehlende Überkompensation). Autofahrer brauchen die Stressoren und die Spannung, die aus dem Gefühl von Gefährdung resultieren, um permanent aufmerksam zu sein und die Risiken unter Kontrolle zu behalten, und kein externes Regulierungssystem – so sterben weniger Fußgänger bei verkehrswidriger Überquerung einer Straße als bei der Benutzung eines Fußgängerüberwegs. Liberale Politiker führen gern das Beispiel von Drachten an, einer Stadt in den Niederlanden, in der im Rahmen eines Experiments ein Traum Wirklichkeit wurde: Man entfernte sämtliche Straßenschilder. Die Deregulierung führte zu größerer Sicherheit; angeregt durch das Gefühl von Gefahr und Eigenverantwortung erhöhte sich die antifragile Aufmerksamkeit. Infolge dieses Experiments wurde in vielen deutschen und holländischen Städten die Anzahl der Straßenschilder reduziert. Ich habe eine Variation des Drachten-Effekts im zweiten Kapitel erwähnt, wo es um die Automatisierung von Steuervorgängen im Flugzeug ging: Man hatte beabsichtigt, dadurch die Leistung der Piloten zu verbessern, und erreichte genau den gegenteiligen Effekt, nämlich eine Reduzierung der Wachsamkeit. Allerdings darf man den Drachten-Effekt nicht vorschnell verallgemeinern und den Schluss ziehen, es sei effektiver, wenn man eine Gesellschaft von sämtlichen Regeln befreien würde. Wie schon erwähnt, folgt die Geschwindigkeit auf der Autobahn einer anderen Dynamik, und auch die Risiken sind andere.
Leider war es sehr schwer für mich, diese Ideen zu Fragilität und Antifragilität in den gegenwärtigen politischen Diskurs in den USA – dieses verflixte Zwei-Fossilienparteien-System – einzupassen. Meistens setzt sich die demokratische Seite für übertriebene Interventionen, bedingungslose Regulierungsmaßnahmen und einen großen Verwaltungsapparat ein, während die republikanische Seite große Unternehmen favorisiert, bedingungslose Deregulierungsmaßnahmen und Militarismus – in dieser Hinsicht sind in meinen Augen beide Seiten gleich. Noch mehr gilt das für den Bereich der Schulden: Beide Seiten neigen dazu, sowohl die Bürger als auch die Unternehmen und die Regierung zu ermutigen, immer mehr Schulden zu machen (was zu Fragilität führt und Antifragilität erstickt). Ich glaube, dass sowohl die Märkte als auch die Regierungen bei Ereignissen von der Art des Schwarzen Schwans unklug vorgehen – ganz im Unterschied zu Mutter Natur oder zu Märkten anderen, älteren Stils (wie etwa den Suks).
Meine Haltung zu Interventionen lässt sich etwas vereinfacht wie folgt umreißen. Es kommt vor allem darauf an, ein systematisches Protokoll zu haben, in dem festgelegt ist, wann Intervention sinnvoll ist und wann es besser
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