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Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)

Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)

Titel: Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nassim Nicholas Taleb
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ist, ein System sich selbst zu überlassen. Um die iatrogenen Effekte der Moderne in den Griff zu bekommen, wird es wahrscheinlich notwendig sein zu intervenieren – vor allem hinsichtlich der immensen Schäden, die der Umwelt zugefügt werden, und der Konzentration eines potentiellen – noch nicht manifesten – Unheils, von Entwicklungen der Art, die wir erst bemerken, wenn es zu spät ist. Die Ideen, die ich hier vortrage, sind nicht politischer Natur, sondern basieren auf Risikomanagement; ich fühle mich keiner einzelnen politischen Partei zugehörig, ich möchte vielmehr einfach die Vorstellung von Schädigung und Fragilität in das Vokabular einbringen, damit wir Strategien formulieren können, die sicherstellen, dass wir nicht zu guter Letzt den Planeten und uns selbst zerstören.
    Es lebe das Zaudern (nach fabianischer Manier)
    Beim Interventionismus gibt es ein irreführendes Element, das in einer durchprofessionalisierten Gesellschaft schnell an Bedeutung gewinnt. Es ist viel einfacher, sich mit dem Hinweis »Schauen Sie nur, was ich für Sie getan habe« zu verkaufen als mit »Schauen Sie nur, was ich für Sie vermieden habe«. Natürlich verschärft sich das Problem noch durch ein Prämiensystem, das auf »Leistung« aufbaut. Ich habe in der Geschichte nach Helden gesucht, deren Heldentum in dem bestand, was sie nicht taten, allerdings ist Nichthandeln schwer auszumachen; ich konnte kaum ein Beispiel finden. Der Arzt, der darauf verzichtet, eine Rückenoperation (einen äußerst lukrativen Eingriff) vorzunehmen, und dem Patienten Zeit lässt, von allein wieder gesund zu werden, wird nicht so reichlich entlohnt und honoriert wie sein Kollege, der vorgibt, der Eingriff sei unvermeidlich, der also dem Patienten Erleichterung verschafft, indem er ihn den Risiken einer Operation aussetzt, und sich selbst dafür fürstlich entlohnen lässt. Im rosafarbenen Rolls-Royce wird der Letztere fahren. Der Geschäftsführer, der einen Verlust vermeidet, bekommt nur selten eine Belohnung. Der echte Held in der Welt des Schwarzen Schwans ist derjenige, der eine Katastrophe verhindert und natürlich, da die Katastrophe nicht eintrat, keine Anerkennung oder Bonuszahlung erhält. In Buch VII , in dem es um moralische Fragen geht, werde ich diese Idee von der Ungerechtigkeit des Prämiensystems, die durch die Komplexität des Systems noch vergrößert wird, vertiefen.
    Allerdings zeigt es sich auch hier wieder einmal, dass die Menschen der Antike offenbar sehr viel weiser waren als wir Modernen – und dass ihre Weisheit gleichzeitig sehr viel schlichter ausfiel; die Römer verehrten einen Mann, der sich der Versuchung einzugreifen widersetzte und eine Intervention immer wieder aufschob. Fabius Maximus, ein General, erhielt den Beinamen Cunctator, »der Zögernde«. Indem er Kampfhandlungen ständig aus dem Weg ging, trieb er Hannibal, der militärisch eindeutig überlegen war, in den Wahnsinn. Und es bietet sich geradezu an, Hannibals Militarismus als eine Spielart des Interventionismus zu interpretieren (in der Art eines George W. Bush, nur dass Hannibal selbst in den Kampf zog und nicht in seinem komfortablen Büro saß) und ihn gegen die Weisheit des Cunctator abzugrenzen.
    In England wurde von einer Gruppe hochintelligenter, revolutionär gesinnter Menschen eine politische Bewegung namens Fabian Society gegründet, die nach dem Cunctator benannt ist und die Idee vertritt, dass eine Revolution nach opportunistischen Gesichtspunkten aufgeschoben werden sollte. Zu der Gesellschaft gehörten George Bernard Shaw, H. G. Wells, Leonard und Virginia Woolf, Ramsay MacDonald und für kurze Zeit sogar Bertrand Russell. Ihre Idee erwies sich im Rückblick als äußerst effektive Strategie – weniger als Methode, ihre Zielvorstellungen umzusetzen, als vielmehr um dem Umstand Rechnung zu tragen, dass es sich bei diesen Vorstellungen um bewegliche Ziele handelte. Mit der Taktik des Aufschiebens und Zögerns war es möglich, dass die Ereignisse ihren Lauf nehmen und die Aktivisten ihren Standpunkt ändern konnten, bevor sie sich auf nicht wiedergutzumachende politische Strategien einließen. Und natürlich änderten sie ihre Ansichten, als sie sahen, welche Gräuel der Stalinismus und ähnliche Systeme anrichteten.
    Die Römer prägten den Ausspruch festina lente : »Eile mit Weile«. Und sie waren nicht das einzige Volk der Antike, das den Akt bewusster Unterlassung kannte. Der chinesische Philosoph Laozi schuf die Lehre vom Wu-Wei

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