Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)
Zischeln, das man gelegentlich bei Telefongesprächen hört und das man auszublenden versucht, um sich auf die Stimme des Gesprächspartners konzentrieren zu können.
Und genau diese persönliche oder intellektuelle Unfähigkeit, Geräusche von Signalen zu unterscheiden, liegt dem Interventionismus zugrunde.
Eine legale Methode, Leute umzubringen
Wenn Sie den Tod eines Mitmenschen beschleunigen wollen, bezahlen Sie ihm einen Leibarzt. Das muss nicht einmal ein schlechter Leibarzt sein: Stellen Sie Ihrem Bekannten einfach frei, sich einen Arzt auszusuchen. Irgendeinen.
Wahrscheinlich ist das die einzige Möglichkeit, wie man jemanden umbringen kann, ohne ein einziges Gesetz zu übertreten. An dem Beispiel mit den Mandeloperationen wurde deutlich, dass der Zugang zu Daten die Eingreifwahrscheinlichkeit erhöht – auf einmal fängt man an, sich wie der neurotische Typ zu benehmen. Rory Sutherland wies mich darauf hin, dass Menschen, zu deren Personal ein Leibarzt gehört, der Gefahr eines naiven Interventionismus, also iatrogenen Effekten, besonders stark ausgesetzt sind; Ärzte müssen ihr Gehalt rechtfertigen und sich selbst beweisen, dass sie ein Mindestmaß an Arbeitsmoral aufbringen, was dadurch, dass man »nichts unternimmt«, einfach nicht zu bewerkstelligen ist. Der Leibarzt von Michael Jackson wurde bekanntlich wegen einer Handlungsweise verklagt, die einer Überreaktion, also der Unterdrückung von Antifragilität gleichkam (allerdings wird es eine Weile dauern, bis die Gerichte mit dieser Vorstellung wirklich etwas anfangen können). Haben Sie sich je gefragt, warum Staatsoberhäupter und sehr reiche Leute, die zu jeder nur denkbaren Form von ärztlicher Versorgung Zugang haben, auch nicht länger leben als der Durchschnittsbürger? Es sieht ganz so aus, als wäre Übertherapierung und exzessive ärztliche Betreuung der Grund dafür.
Ganz ähnlich verhält es sich bei Wirtschaftsbossen oder Politikern (beispielsweise dem Fragilisten Greenspan), denen eine ausgefeilte Datenerfassungsabteilung zur Verfügung steht und die daher massenhaft mit »zeitnahen« Statistiken versorgt werden: Sie haben den Hang, überzureagieren und etwas als Information zu interpretieren, was lediglich ein Geräusch ist. Greenspan hatte ein Auge auf Vorgänge wie die Schwankungen der Verkaufszahlen von Staubsaugern in Cleveland, wie man hört, »um eine genaue Vorstellung davon zu gewinnen, wohin die Wirtschaft sich bewegt«, und natürlich hat er uns mit genau dieser Art von Mikromanagement ins Chaos gesteuert.
In der Geschäftswelt und bei ökonomischen Entscheidungsprozessen verursacht die Abhängigkeit von Daten gravierende Nebenwirkungen – Daten gibt es heute dank der allgemeinen Vernetzung im Überfluss, und der Anteil an Störgeräuschen nimmt zu, je tiefer man in den Informationsfluss eindringt. Eine eher selten aufgegriffene Eigenschaft von Daten: Sie sind in großen, ja schon in durchschnittlichen Mengen toxisch.
Die beiden vorigen Kapitel zeigten, wie man Rauschen und Zufälligkeit benutzen und davon profitieren kann; doch umgekehrt vermag Rauschen und Zufälligkeit auch von einem selbst Besitz zu ergreifen, vor allem die ganz und gar unnatürlichen Daten, die aus dem Netz oder überhaupt den Medien stammen.
Je häufiger man sich mit Daten befasst, desto unverhältnismäßig mehr Geräusche bekommt man ab (anstelle des wertvollen Teils, dem Signal ); desto höher also das Verhältnis von Geräusch zu Signal. Und nun gibt es eine bezeichnende Verwirrung, die mit Psychologie gar nichts zu tun hat, sondern eine Eigenschaft der Daten selbst ist. Nehmen wir an, Sie studieren einmal im Jahr die Aktienkurse oder die Verkaufszahlen der Düngerfabrik Ihres Schwiegervaters oder die Inflationsrate in Wladiwostok. Nehmen wir außerdem an, dass das Verhältnis von Signal zu Geräusch für das, was Sie einmal pro Jahr beobachten, eins zu eins beträgt (also eine Hälfte Geräusch, die andere Hälfte Signal) – dann heißt das, dass ungefähr die Hälfte der Veränderungen echte Verbesserungen oder Verschlechterungen sind und die andere Hälfte auf Zufall beruht. Dieses Verhältnis erhalten Sie, wenn Sie Ihre Beobachtung einmal pro Jahr anstellen. Wenn Sie sich genau dieselben Daten nun täglich anschauen, würde sich das Verhältnis verschieben auf 95 Prozent Geräusch zu 5 Prozent Signal. Und wenn Sie die Daten schließlich jede Stunde studieren, wie Menschen das nun einmal machen, die völlig eingetaucht sind in die Welt
Weitere Kostenlose Bücher