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Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)

Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)

Titel: Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nassim Nicholas Taleb
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Interventionismus kommt in allen möglichen Berufssparten vor. Wenn Sie etwa als Autor einem typischen Lektor einen Text geben, wird er eine bestimmte Anzahl von Korrekturen vorschlagen, sagen wir im Schnitt fünf Veränderungen pro Seite. (Das läuft im Prinzip ganz ähnlich wie bei dem Beispiel mit den Mandeloperationen.) Jetzt übernehmen Sie seine »Korrekturen« und geben den Text einem zweiten Lektor, der mit ungefähr derselben durchschnittlichen Eingreifquote arbeitet (Lektoren unterscheiden sich hinsichtlich ihres Eingreifdrangs), und Sie werden feststellen, dass dieser zweite Lektor eine entsprechende Anzahl von Änderungen vorschlägt, unter anderem auch die eine oder andere Veränderung rückgängig macht, die der vorige Lektor angebracht hatte. Und mit einem dritten Lektor werden Sie noch einmal dasselbe erleben.
    Übrigens tun diejenigen, die an einer Stelle zu stark eingreifen, an anderer Stelle zu wenig – und gerade das, was man mit Lektoren erlebt, bietet dafür vielsagende Beispiele. Seit ich Texte verfasse, habe ich festgestellt, dass diejenigen, die zu akribisch korrigieren, die gravierenden Tippfehler übersehen (was auch umgekehrt gilt). Ich habe einmal einen Kommentar, den ich für die Washington Post verfasst hatte, wieder zurückgezogen, da mein Text nur so wimmelte von völlig unnötigen Verbesserungen; man hatte den Eindruck, jedes Wort sei durch ein Synonym aus dem Wörterbuch ersetzt worden. Ich gab den Artikel stattdessen der Financial Times . Der zuständige Redakteur veränderte nur eine einzige Stelle: Aus 1989 machte er 1990. Die Washington Post hatte sich so viel Mühe gegeben, dass sie den einzigen wirklich gravierenden Fehler übersah. Interventionismus zehrt geistige und wirtschaftliche Ressourcen auf, und wenn man sie dann am nötigsten braucht, sind sie erschöpft. (Also überlegen Sie sich gut, was Sie sich wünschen: Eine schlanke Verwaltung agiert im Endeffekt womöglich wirkungsvoller. Durch Reduzierung ihrer Größe und ihres Geltungsbereichs wird sie unter Umständen mächtiger als eine große Verwaltung.)
    Nicht-naiver Interventionismus
    Es sei hier vor einer Fehlinterpretation des Gesagten gewarnt. Ich argumentiere nicht gegen jede Form von Intervention; wie das gerade angeführte Beispiel zeigt, ist zu wenig Intervention in Fällen, wo sie wirklich nötig wäre, genauso besorgniserregend. Ich warne hier lediglich vor naiver Intervention und davor, dass man den Schaden, der dadurch angerichtet wird, nicht sieht und anerkennt.
    Ich mache jede Wette, dass meine Botschaft – eine Zeitlang – falsch interpretiert werden wird. Als mein Buch Narren des Zufalls auf den Markt kam, das besagte, wir Menschen tendierten dazu, die Rolle des Zufalls in unseren Tätigkeiten und Beziehungen zu unterschätzen – kurz: »Der Zufall ist mächtiger, als man gemeinhin annimmt« –, wurde die Botschaft in den Medien verkürzt zu »alles ist Zufall« oder »alles nur reine Glückssache« – ein prägnantes Beispiel für ein Prokrustesbett, das verändert, indem es reduziert. Während eines Radiointerviews, bei dem ich dem Journalisten den Unterschied zwischen den beiden Sätzen klarmachen wollte, beschied er mir, ich sei »zu kompliziert«, woraufhin ich ohne weiteren Kommentar aus dem Studio ging und ihn sitzen ließ. Deprimierend daran ist, dass die Leute, denen solche Fehler unterlaufen, für ihren Job ausgebildet wurden; es handelt sich um Journalisten, die die Aufgabe haben, uns Laien die Welt zu erklären. Und hier sage ich lediglich, dass wir uns hüten sollten, die Augen vor der natürlichen Antifragilität von Systemen zu verschließen, vor ihrer Fähigkeit, sich selbst zu regulieren, und dass wir gegen unsere Neigung ankämpfen sollten, sie zu schädigen und zu fragilisieren, indem wir ihnen die Möglichkeit der Selbstregulierung vorenthalten.
    An dem übereifrigen Lektor wurde deutlich, dass zu heftiges Eingreifen verbunden ist mit zu zögerlichem Eingreifen. Es gibt die Tendenz, in Bereichen mit minimalem Nutzen (und hohem Risiko) zu viel zu tun, während man in Bereichen, in denen Eingreifen nötig wäre, wie etwa bei Notfällen, zu wenig unternimmt; darauf werde ich im Zusammenhang mit ärztlichem Handeln noch eingehen. Ich spreche mich hier für beherztes Eingreifen in bestimmten Bereichen aus, etwa in der Ökologie oder in der Begrenzung ökonomischer Verzerrungen und moralischen Fehlverhaltens, die durch große Unternehmen verursacht werden.
    Was sollten wir

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