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Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)

Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)

Titel: Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nassim Nicholas Taleb
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Transportsystem, schöne Frauen und gute Küche? Dann aber stieß ich bei der Lektüre von Graham Robbs The Discovery of France auf einen hoch bedeutsamen Sachverhalt, der mich lehrte, Frankreich mit vollkommen anderen Augen zu sehen, und den Anstoß gab, die Literatur nach einer Neufassung der Geschichte des Landes zu durchforsten.
    Eigentlich liegt es ja auf der Hand: Der französische Nationalstaat war überwiegend eine Behauptung, trotz der Versuche von Ludwig XIV ., Napoleon und dem nationalen Erziehungsprogramm von Jules Ferry, sich überall einzumischen. Im Frankreich des Jahres 1863 wurde nicht Französisch gesprochen (das beherrschte nur ein Fünftel der Bevölkerung), sondern eine ganze Reihe von Sprachen und Dialekten. (Erstaunlich: Der Nobelpreis für Literatur ging im Jahr 1904 an den Franzosen Frédéric Mistral, der seine Werke in der in Südfrankreich gesprochenen Sprache Provenzalisch schrieb.) Das Fehlen einer sprachlichen Einheit wie die große Bandbreite an Käsesorten (Es gibt ungefähr vierhundert verschiedene) bringen zum Ausdruck, wie schwer es ist, dieses Land zu zentralisieren. Jenseits des Umstands, dass es Eigentum eines Königs und einer schwachen Aristokratie war, gab es keine ethnische oder sprachliche Komponente, die das Land zusammengehalten hätte. Die Straßen befanden sich in einem furchtbaren Zustand, und das Land war ganz überwiegend unzugänglich für Reisende. Die Eintreibung von Steuern war ein gefährliches Geschäft und erforderte Zähigkeit und Scharfsinn. Faktisch wurde das Land nur nach und nach von Paris aus »entdeckt«, teilweise erst nach der Kolonisierung von Nordafrika und anderer Weltregionen. In seinem umfangreichen, fesselnden Buch La Rébellion Française zeigt der Historiker Jean Nicolas, dass es eine sehr differenzierte, hochkomplexe Kultur des Aufstands gab – historisch gesehen gilt der Aufruhr als der eigentliche französische Nationalsport.
    Paris selbst stand nur in geringem Ausmaß unter der Kontrolle Frankreichs – nicht mehr als die Favelas in Rio gegenwärtig unter der Kontrolle des brasilianischen Zentralstaats stehen. Der Sonnenkönig Ludwig XIV . hatte seinen Hof nach Versailles verlegt, um sich von dem Gewimmel in Paris zu distanzieren. Paris wurde erst im 19. Jahrhundert kontrollierbar, nachdem Georges-Eugène Haussmann in den 1860er Jahren die kleinen Häuser und engen Straßen planieren ließ, um Platz für die großen Avenuen zu schaffen, die es der Polizei endlich ermöglichten, die Menge in den Griff zu bekommen. Faktisch bestand Frankreich in erster Linie aus Paris und »der Wüste«, denn Paris kümmerte sich nicht um das übrige Frankreich. Das Land wurde erst nach ausgedehnten Programmen und »Fünf-Jahres-Plänen«, durch die Anlage von Straßen, Eisenbahnnetzen, Schulen und die Verbreitung des Fernsehens zentralisiert – ein letztlich auf Napoleon zurückgehender Integrationstraum, den de Gaulle nach dem Krieg umzusetzen begann und der während der Regierungszeit von Valéry Giscard d’Estaing in den späten 1970er Jahren vollendet wurde, als die Dezentralisierung einsetzte. 32 Möglicherweise hat Frankreich von den beiden Jahrzehnten als großer Zentralstaat profitiert, aber man könnte ebenso gut sagen, es habe von dem glücklichen Umstand profitiert, dass der übermächtige Staat sein Wachstum beförderte, ohne seine Gastfreundschaft überzubeanspruchen.
    Schweden und der große Staat
    Abgesehen von Frankreich war ich auch über den Zustand von Schweden und anderen skandinavischen Staaten erstaunt, die häufig als Paradebeispiele für ein mächtiges Staatswesen angeführt werden, »das funktioniert« – die Regierung macht einen Großteil der Gesamtwirtschaft aus. Wie ist ein monströs ausgedehntes Staatswesen mit dem Umstand vereinbar, dass Dänemark als glücklichste Nation der Welt gilt (nimmt man einmal an, Glück sei zum einen mess-, zum anderen wünschbar)? Liegt es daran, dass all diese Länder kleiner sind als der Großraum New York? Dann wies mich aber mein Koautor, der Politikwissenschaftler Mark Blyth, darauf hin, dass auch hier die falsche Geschichte erzählt wird: Es ist fast dasselbe wie mit der Schweiz (nur dass in Skandinavien die klimatischen Verhältnisse schlechter und die Wintersportmöglichkeiten nicht so grandios sind). Der Staat fungiert als Steuereintreiber, doch das Geld wird in den Gemeinden ausgegeben, nach den Vorgaben der Gemeinde, zum Beispiel für berufliche Fortbildungen, die von den

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