Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)
Herrscher, speziell für den Herrscher von Syrakus, formulierte, waren sie damit entweder ineffektiv oder verursachten Katastrophen. Um als Philosophenkönig erfolgreich zu sein, ist es viel besser, als König anzufangen und nicht als Philosoph, wie folgende Geschichte aus der Jetztzeit illustriert.
Moderne Angehörige der Disziplin der Entscheidungstheorie halten leider den Weg von der Theorie zur Praxis für eine Einbahnstraße. Charakteristischerweise werden sie von den kompliziertesten und zugleich ungeeignetsten Problemen angezogen; diesen Prozess nennen sie »wissenschaftlich arbeiten«. Es gibt da eine Anekdote über einen gewissen Professor Triffat (ich verändere den Namen, da die Geschichte möglicherweise apokryph ist, allerdings äußerst charakteristisch, wie meine Erfahrung besagt). Er ist einer der »viel zitierten« Wissenschaftler auf dem Gebiet der Entscheidungstheorie; er verfasste das wichtigste Grundlagenwerk und war mit daran beteiligt, etwas Großartiges und Nutzloses namens »rationale Entscheidungsfindung« zu entwickeln, das eine Menge großartige und nutzlose »Axiome« enthielt sowie großartige und noch nutzlosere Wahrscheinlichkeiten und ähnlichen Firlefanz. Triffat, der damals an der Columbia University lehrte, plagte sich mit der Entscheidung ab, einen Ruf nach Harvard anzunehmen – viele Leute, die über Risikomanagement reden, begegnen in ihrem Leben keinen komplexeren Risiken als solchen Fragen. Ein Kollege schlug vor, er solle eine seiner breit beachteten, viel beklatschten und hoch dekorierten wissenschaftlichen Techniken anwenden, mit Kriterien wie der »größten zu erwartenden Nützlichkeit«, denn, so der Kollege, »darüber schreiben Sie ja immer«. Triffat erwiderte ärgerlich: »Ach hören Sie doch auf, das hier muss man ernst nehmen!«
Im Unterschied dazu gibt es bei Seneca nur Dinge, die man »ernst nehmen« muss. Einmal überlebte er einen Schiffbruch, bei dem einige Mitglieder seiner Familie starben, und schrieb Briefe mit praktischen und weniger praktischen Ratschlägen an seine Freunde. Als er sich dann selbst das Leben nahm, folgte er treu und würdevoll den Prinzipien, die er in seinen Schriften verbreitet hatte. Während der Harvard-Wirtschaftswissenschaftler nur von Leuten gelesen wird, die versuchen, Texte zu schreiben, die ihrerseits dann von Leuten gelesen werden, die versuchen, Texte zu schreiben, die dann schließlich (hoffentlich) irgendwann vom unerbittlichen Bullshit-Detektor der Geschichte verschlungen werden, wird Lucius Annaeus, auch bekannt als Seneca der Jüngere, noch heute, zweitausend Jahre nach seinem Tod, von wirklichen Menschen gelesen.
Schauen wir uns seine Botschaft näher an.
Weniger Schattenseiten
Fangen wir an mit einer Problematik. Ich habe Seneca als reichsten Mann im Römischen Imperium vorgestellt. Sein Vermögen belief sich auf dreihundert Millionen Denare (um sich einen Begriff von den Dimensionen zu machen: Zu etwa dieser Zeit bekam Judas dreißig Denare, etwa einen Monatslohn, dafür, dass er Jesus verriet). Es ist zugegebenermaßen nicht gerade überzeugend, abfällige Bemerkungen über materiellen Wohlstand von einem Mann zu lesen, der seine Texte auf einem seiner vielen Hundert Holztische mit einem Untergestell aus Elfenbein schrieb.
Traditionellerweise versteht man unter Stoizismus eine gewisse Indifferenz gegenüber dem Schicksal – auch bestimmte Vorstellungen einer Harmonie mit dem Kosmos gehören noch dazu, die ich hier aber auslasse. Es geht darum, den Wert irdischer Besitztümer immer geringer zu schätzen. Als Zenon von Kition, der Begründer der Stoa, während einer Seereise verunglückte (es gibt ziemlich viele Schiffbrüche in alten Texten), pries er sich glücklich, seine Lasten losgeworden zu sein und sich nun ganz der Philosophie widmen zu können. Der Schlüsselsatz in Senecas Schriften lautet (nach einem widrigen Ereignis) nihil perdidi, »Ich habe nichts verloren«. Stoizismus macht es möglich, sich die Herausforderung eines Schicksalsschlags zu wünschen. Auf Luxus schauen Stoiker verächtlich herab – Seneca schrieb über einen Mann, der ein verschwenderisches Leben führte: »Er ist in jedem Fall verschuldet, sei es gegenüber einer anderen Person oder gegenüber dem Schicksal.« 37
So interpretierter Stoizismus ist dasselbe wie Robustheit – denn wer immun gegen äußere Zustände wird, seien diese nun gut oder schlecht, wer nicht fragil ist in schicksalhaften Wendungen, der ist robust.
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