Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)
fragil.
Seneca begegnete dieser Fragilität mit mentalen Übungen, in denen er seine Besitztümer abschrieb. Wenn es dann tatsächlich zu Verlusten kam, fühlte er keinen Schmerz, und es gelang ihm mit dieser Methode, seine Freiheit dem Zugriff der Umstände zu entwinden. Vergleichbar ist das mit dem Abschluss einer Versicherung gegen Verluste. Beispielsweise brach Seneca häufig mit fast denselben Besitztümern auf seine Reisen auf, die ihm auch nach einem Schiffbruch geblieben wären, wozu unter anderem eine Decke gehörte, um auf dem Boden zu schlafen, da es zu jener Zeit nur wenige Gasthäuser gab (allerdings muss ich, um die Dinge in den korrekten historischen Zeitrahmen einzuordnen, hinzufügen, dass er sich »nur von einem oder zwei Sklaven« begleiten ließ).
Um zu zeigen, wie eminent modern das ist, möchte ich als Nächstes beschreiben, wie ich selbst diese Form von Stoizismus umgesetzt habe, um mir die psychische Kontrolle über die Zufälligkeit des Lebens zurückzuerobern. Festanstellungen und die damit verbundene Abhängigkeit von der willkürlichen Meinung irgendwelcher Leute habe ich immer gehasst, vor allem weil vieles von dem, was in großen Firmen vor sich geht, mein moralisches Empfinden verletzte. Ich war daher fast immer freiberuflich tätig, abgesehen von einer Phase von acht Jahren. Bevor ich diesen Job antrat, verfasste ich mein Kündigungsschreiben, verschloss es in einer Schublade und fühlte mich so die ganze Zeit, die ich dort arbeitete, frei. Auch später als Trader, ein Beruf voller Zufälligkeiten und permanenter psychischer Schädigungen, die sich tief in die Seele bohren können, unterzog ich mich der mentalen Übung, jeden Morgen anzunehmen, dass das Schlimmste wirklich passiert war – so wurde der Rest des Tages zum Bonus. Die Methode, sich mental »auf das Schlimmste« einzustellen, brachte außerdem Vorteile mit sich, die über das Therapeutische weit hinausgingen. Sie veranlasste mich nämlich dazu, eine bestimmte Klasse von Risiken einzugehen, bei der der schlimmste Fall eindeutig und klar umrissen ist, mit begrenztem und bekanntem Verlustrisiko. Es ist gar nicht so einfach, an der gesunden Disziplin der mentalen Abschreibung festzuhalten, wenn alles glattläuft, allerdings braucht man sie gerade dann am nötigsten. Ich reise auch immer wieder einmal im Stil von Seneca, also ohne Komfort (obwohl ich im Unterschied zu ihm nicht von »einem oder zwei Sklaven« begleitet werde).
In einem intelligenten Leben geht es einzig darum, sich emotional so einzurichten, dass der Stachel der Schädigung ausgemerzt wird. Das gelingt, wenn man die Zugehörigkeiten mental abschreibt, sodass einen Verluste nicht mehr schmerzen. Die Volatilität der Welt kann sich auf den Menschen dann nicht länger negativ auswirken.
Die Domestizierung der Emotionen
Betrachtet man die Sache so, dann geht es dem Stoizismus um die Domestizierung, aber nicht notwendigerweise um die Eliminierung von Emotionen. Ziel ist nicht die Verwandlung des Menschen in Gemüse. Nach meiner Vorstellung ist ein moderner stoischer Weiser jemand, der Furcht in Klugheit verwandelt, Schmerz in Information, Fehler in Anstöße und Begehren in Unternehmungen .
Seneca schlägt ein komplettes Trainingsprogramm für eine gute Lebensgestaltung und einen sinnvollen Umgang mit Emotionen vor, das mit kleinen, aber effektiven Tricks arbeitet. Wenn beispielsweise ein römischer Stoiker eine im Prinzip gerechtfertigte Handlung nicht durch seinen Zorn beeinträchtigen will, wodurch er womöglich einen Schaden anrichten würde, den er später bereuen müsste, dann wartet er mindestens einen Tag, bevor er einen Sklaven bestraft, der sich irgendeines Vergehens schuldig gemacht hat. Wir empfinden das vielleicht nicht gerade als gerecht, aber man sollte die Handlungsweise des sonst eher maßvollen Kaisers Hadrian zum Vergleich heranziehen, der einem Sklaven in einem Anfall unkontrollierbarer Wut ein Auge ausstach. Als Hadrians Wut abgeklungen war und er seine Tat bedauerte, war der Schaden nicht mehr gutzumachen.
Zudem versorgt uns Seneca mit einem ganzen Katalog von Möglichkeiten, sich im Sozialen zu betätigen: Investieren Sie in gute Taten. Dinge können uns weggenommen werden, nicht aber gute Taten und tugendhaftes Handeln.
Wie man Herrschaft erlangt
Bis hierher war uns die Geschichte wohlbekannt – wir haben erfahren, wie wir uns von der linken (der fragilen) Seite der Triade in die Mitte (zum Robusten hin) bewegen können. Seneca aber
Weitere Kostenlose Bücher