Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)
ging noch weiter. Er sagte, Reichtum sei der Sklave des Weisen und der Herrscher über den Narren. Damit brach er in Teilen mit der angeblichen stoischen Grundhaltung: Die Vorteile behielt er durchaus bei .
Meiner Ansicht nach ist gegenüber den Behauptungen früherer Stoiker, dass sie die Armut dem Wohlstand vorziehen, Argwohn angebracht – dabei könnte es sich letztlich um nichts als leeres Gerede gehandelt haben. Da die meisten Stoiker arm waren, bastelten sie sich vielleicht einfach eine passende Interpretation zusammen (wir werden im Zusammenhang mit der Geschichte des Thales von Milet die kognitiven Spielchen mit den Trauben kennenlernen, mit denen man sich selbst davon überzeugt, dass die Trauben, an die man nicht herankommt, sauer sind). Seneca war durch und durch ein Mann der Tat, und man kann den Umstand, dass er seinen Reichtum behielt, nicht einfach ignorieren. Entscheidend ist, dass er offensichtlich den Reichtum der Armut vorzog, sich dabei aber nicht vom Reichtum beeinträchtigen ließ.
Seneca bezeichnete seine Strategie in De Beneficiis in gewisser Weise sogar explizit als Kosten-Nutzen-Analyse, indem er das Wort »Buchführung« benutzte: »Die Buchführung der Vorteile ist einfach: Es sind alles Ausgaben; wenn sie zurückerstattet werden, ist es klar ein Gewinn (meine Hervorhebung); wenn nicht, ist es kein Verlust, weil ich um des Gebens willen gab.« Moralische Buchführung, aber trotz allem Buchführung.
Seneca schlug also dem Schicksal ein Schnippchen: Er bewahrte das Gute und befreite sich vom Schlechten; das Negative beseitigte er und behielt das Positive. In gewissem Sinne verhielt er sich eigennützig, indem er dem Schicksal das Schädigende nahm und in gänzlich unphilosophischer Manier das Nützliche einbehielt. Eine derartige Kosten-Nutzen-Analyse ist nicht der Stoizismus, wie er gemeinhin rezipiert wird (wer sich wissenschaftlich mit dem Stoizismus auseinandersetzt, hat offenbar die Wunschvorstellung, Seneca und andere Stoiker sollten so denken wie er selbst). Hier liegt ganz klar eine Nutzen-Nachteil-Asymmetrie vor.
Das ist Antifragilität in Reinkultur. 38
Die grundlegende Asymmetrie
Ich fasse Senecas Asymmetrie in einer einzigen Regel zusammen.
Die bereits angesprochene Vorstellung lautet, dass man unter widrigen Umständen mehr zu verlieren hat. Wenn man durch schicksalhafte Ereignisse mehr zu verlieren als zu gewinnen hat, liegt eine ungute Asymmetrie vor. Und eine solche Asymmetrie ist universell. Inwiefern hat sie Fragilität zur Folge?
Sie erinnern sich an das Paket aus dem ersten Kapitel: Es verträgt keine Erschütterungen und verabscheut alle aus der Chaosfamilie – somit ist es fragil (äußerst fragil, da es nichts gewinnen kann, die Asymmetrie ist also besonders ausgeprägt). Das antifragile Paket dagegen profitiert von Erschütterungen mehr, als dass sie ihm schaden. Einfacher Test: Wenn ich »nichts zu verlieren« habe, kann ich nur gewinnen und bin antifragil.
Die gesamte Tabelle 1 mit den Triaden aus den unterschiedlichsten Bereichen kann mit diesen Kriterien erklärt werden. Voll und ganz.
Um zu sehen, inwiefern asymmetrische Ergebnisse von Volatilität profitieren, mache man sich Folgendes bewusst: Wenn Sie weniger zu verlieren als zu gewinnen haben, mit mehr positiven als negativen Aspekten rechnen können, dann ist Ihnen Volatilität willkommen (da sie unterm Strich Vorteile mit sich bringt), und Sie sind außerdem antifragil.
Die Aufgabe, vor die ich mich jetzt gestellt sehe, besteht also darin, die vier Elemente folgendermaßen mit der fundamentalen Asymmetrie in Verbindung zu bringen:
Fragilität impliziert mehr Verlust als Gewinn, das heißt mehr Nachteile als Vorteile, entspricht also der nicht wünschenswerten Asymmetrie,
und
Antifragilität impliziert mehr Gewinn als Verlust, das heißt mehr Vorteile als Nachteile, entspricht also der wünschenswerten Asymmetrie.
Antifragil gegenüber einer Quelle von Volatilität ist man, wenn die potentiellen Gewinne größer sind als die potentiellen Verluste (und umgekehrt).
Des Weiteren: Wenn man mehr Vorteile als Nachteile hat, dann richtet ein Mangel an Volatilität und Stressoren womöglich Schaden an.
Wie lässt sich nun diese Idee – Reduktion von Nachteilen, Zunahme von Vorteilen – in die Praxis übertragen? Mit der Hantelstrategie, wie das nächste Kapitel zeigen soll.
37 Auf die Frage, worin sich Buddhismus und Stoizismus unterscheiden, gibt es eine einfache Antwort. Ein Stoiker ist ein
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