Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)
Zufällige Ereignisse können uns in keiner Weise treffen (wir sind zu stark, um zu verlieren, und nicht habgierig genug, um einen Gewinn zu genießen), also bleiben wir in der mittleren Spalte der Triade.
Wenn man allerdings Seneca selbst liest und ihn nicht nur über seine Kommentatoren studiert, ergibt sich ein anderes Bild. Senecas Version von Stoizismus ist Antifragilität dem Schicksal gegenüber – keine Nachteile von Frau Fortuna, aber jede Menge Vorteile.
Es stimmt schon – Senecas Ziel auf dem Papier war ein philosophisches; er versuchte, der oben umrissenen stoischen Tradition treu zu bleiben: Eigentlich sollte es beim Stoizismus nicht um Gewinne und Vorteile gehen, auf dem Papier wurde die Ebene der Antifragilität also nicht erreicht, hier wurde nur die Reduktion psychischer Fragilität und die zu erringende Kontrolle über das eigene Schicksal thematisiert. Allerdings gibt es einen Umstand, der von den Interpreten völlig übersehen wurde. Wenn Reichtum eine solche Bürde bedeutete und gleichzeitig so überflüssig war, war es dann nicht sinnlos, ihn zu behalten? Warum trennte Seneca sich nicht davon?
Intellektuelle haben irgendwie einen inneren Widerstand gegen Antifragilität; darauf habe ich schon im zweiten Kapitel, im Zusammenhang mit jenen Psychologen hingewiesen, die posttraumatisches Wachstum ignorieren und sich ausschließlich auf posttraumatische Schädigungen konzentrieren – für sie scheint es nichts über die Robustheit hinaus zu geben. Ich weiß nicht, woran es liegt, aber sie mögen keine Antifragilität. Das hinderte sie daran, in Erwägung zu ziehen, dass Seneca die Vorteile vom Schicksal haben wollte – woran ja auch nichts Verwerfliches ist.
Lernen wir von dem großen Meister zuerst, wie er es schaffte, die Nachteile abzumildern – also die Standardbotschaft der Stoiker: Wie wird man robust, wie wappnet man sich gegen die Verletzung durch Emotionen, wie kommt man aus der ersten Spalte der Triade heraus. Im zweiten Schritt zeige ich dann, dass Seneca tatsächlich die Antifragilität thematisierte. Und als dritten Schritt werde ich (in Kapitel 18 und 19) seinen Kunstgriff zu einer generellen Methode zur Aufdeckung von Antifragilität ausbauen.
Der stoische Weg zu emotionaler Robustheit
Erfolg bringt Asymmetrie mit sich: Man hat jetzt sehr viel mehr zu verlieren als zu gewinnen. Also ist man fragil. Kehren wir noch einmal zum Damoklesschwert zurück. Hier steht nichts Gutes zu erwarten, nur jede Menge Unheil. Wenn man reich wird, ist der Schmerz, den Reichtum zu verlieren, größer als der emotionale Gewinn, wenn weiterer Reichtum hinzukommt, man lebt also unter einer ständigen emotionalen Bedrohung. Ein reicher Mensch ist in seinen Besitztümern gefangen, sie beherrschen ihn, stören seinen Schlaf, erhöhen seine Stresshormonwerte, verringern seinen Sinn für Humor, womöglich haben sie sogar neben weiteren Unpässlichkeiten zur Folge, dass ihm Haare auf der Nasenspitze wachsen. Seneca erkannte, dass Besitztümer dazu führen, dass wir uns wegen möglicher Verluste und Nachteile Sorgen machen, und sie somit wie eine Bestrafung fungieren, da wir von ihnen abhängig sind. Nur Nachteile, keine Vorteile. Mehr noch: Man ist von den Umständen abhängig oder vielmehr von den Emotionen, die sich aus den Umständen ergeben, was eine Art Sklaverei zur Folge hat.
Diese Asymmetrie zwischen den Auswirkungen von Gut und denen von Böse, von Nutzen und Nachteil war den Alten offenbar geläufig – eine frühere Version davon fand ich bei Livius: »Die Menschen empfinden das Gute weniger intensiv als das Schlechte« ( segnius homines bona quam mala sentiunt ), schrieb er eine halbe Generation vor Seneca. Die Alten waren, hauptsächlich dank Seneca, Lichtjahre von modernen Psychologen und Entscheidungstheoretikern à la Triffat entfernt, die um die Vorstellung der »Risiko-(oder Verlust-)Aversion« herum Theorien entwickelten – die Alten waren philosophisch tiefer, mehr an der Praxis orientiert, und bewegten sich weit jenseits vulgärer moderner Therapievorstellungen.
Lassen Sie es mich noch einmal in heutiger Sprache formulieren. Stellen Sie sich eine Situation vor, in der Sie viel zu verlieren und wenig zu gewinnen haben. Wenn Ihnen zusätzlicher Reichtum, sagen wir tausend phönizische Schekel, nichts nützt, Sie sich aber wegen des Verlusts desselben Betrags schwer geschädigt fühlen würden, dann liegt eine Asymmetrie vor. Und zwar keine gute Asymmetrie: Sie wären
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