Antiheld (German Edition)
sich in seine Bestandteile auf. Nichts war mehr wie vorher.
Ich saß in der Mitte des Zeltplatzes, um mich herum sprießende Titten, Alkoholfahnen und dumpfes Gebrüll in einer Stimmlage, die sich dem Kindlichen bereits entzogen hatte, jedoch noch nicht erwachsen war. Vor mir tat sich eine farb- und formlose Sphäre abseits von Traum und Wirklichkeit auf. Ich existierte in einer dunklen Zwischenwelt. Durch mein neuronales Netzwerk brannte nur noch ein Wunsch: sie zu töten .
Andor würde vielleicht zitieren: «Ist der aggressiven Sexualität die Befriedigung versagt, so bleibt der Drang zurück, sie dennoch durchzusetzen. Dann entsteht der Impuls, die zu erzielende Lust mit allen Mitteln zu gewinnen. Sie wird als Lebensäußerung lustvoll. So entsteht der Sadismus.»
Doch ich wollte sie nicht lieben , nicht in sie eindringen. Ich wollte sie vernichten. Das fragile Gefäß des Lebens zerstören. Und sie bettelte mich mit ihren Augen an , es endlich zu tun.
Am vorletzten Tag machte ich mich auf den Weg zu den Duschen, die abseits in einem kleinen, barackenhaften Bau lagen. Auf dem Weg kam ich an den Toiletten vorbei.
Die Tür der zweiten Kabine stand offen wie eine klaffende Wunde. Verrostete Scharniere knarrten in eigentümlichem Stakkato, aus dem dunklen Inneren strömte der stechende Geruch alten Urins.
Ich verlangsamte meine Schritte und sah hinein. Da saß sie wie eine aus frischem Zement gegossene Statue. Ihre weiße Haut so dünn wie Pergament.
Ich versuchte, einen Blick auf ihre Fotze zu werfen, doch das sanft geschwungene Dreieck verschwand sittsam im Schatten der Kloschüssel. Sie lächelte. Ihre Zähne blitzten wie die Köpfe angezündeter Streichhölzer. Weder der Wind noch mein Atem war zu hören.
Alles blieb stehen.
Ich legte meine Hände um ihren schmalen Hals und begann das zarte Fleisch zu drücken. Das Handwerk des Todes, ich verrichtete es erstaunlich routiniert. Und sie, sie ließ alles geschehen und wehrte sich nicht. Ihr Gesicht verfärbte sich und begann zu leuchten wie eine Kirlianfotografie. Der zerbrechliche Körper zitterte sanft. Ein Augenblick, in dem man das Leben an sich und kein armseliges Strohfeuer spürt. Ein Moment, den ein begnadeter Künstler für die Ewigkeit hätte festhalten müssen. Dann riss mich jemand zu Boden und zerstörte dieses Idyll. Ein verzerrtes Gesicht tauchte vor mir auf. Das Gesicht eines Betreuers. Er schrie, sein Speichel tropfte auf mich herab.
Ich hörte seine Worte nicht, ich sah in ihre Augen, bis man mich wegzog. Danach: Verbannung. Strafende Blicke, betroffenes Schweigen, Empörung. Ein Vater, der mich genüsslich ohrfeigte. Eine Mutter, die nicht mehr mit mir sprach. Langweilige Therapiestunden in grauen Institutsgebäuden. Der Beginn eines niemals endenden Korridors, den ich langsam und behäbig durchschreite: Der Beginn meines eigentlichen Lebens.
Seitdem muss ich immer wieder an diese Augen denken. Erst wenn ich die blutigen bulbus oculi, an denen der Sehnerv noch wie ein Rattenschwanz hängt, in den Händen halte – erst dann bin ich glücklich.
Tagebuch Nimkin
Heute zwischen zwei Büchern einen alten Zeitungsartikel wiedergefunden, den ich irgendwann ausgeschnitten haben muss. Ich konnte mich an die Geschehnisse gar nicht mehr richtig erinnern. Es war der Sommer des schwarzen Prinzen. Vor zehn Jahren waren die Zeitungen voll mit Meldungen über ihn.
Ich habe ihn einige Male gesehen, keine Begegnung ist mir jedoch in so lebhafter Erinnerung geblieben wie das erste Mal: Mein Vater hatte mich in seinem neuen Auto gerade vom Fußballtraining abgeholt. Wir standen vor einer Ampel in der Innenstadt, der Verkehr stockte. Er war im Begriff das Radio lauter zu stellen, um die Ergebnisse des Spieltags besser verstehen zu können, als er an uns vorbeiraste.
Pfeilschnell und elegant in seiner Uniform aus glänzend schwarzem Leder. Mit dem Motorradhelm auf dem Kopf und dem verdunkelten Visier, das das Sonnenlicht reflektierte, wirkte er fast wie ein Astronaut. Ganz leicht nur touchierte er den Lieferwagen, der vor uns an der Ampel auf Grün wartete und nahm die Kurve, die in der Kreuzung mündete, so eng und hart, dass sein Knie für einen kurzen Augenblick über den Asphalt scheuerte.
Ich konnte dieses Geräusch, das Schaben des Leders, fast hören. Wie ein Blitz zuckte er dann auf seinem Rennrad durch die träge vibrierende Blechmasse des samstäglichen Verkehrs. Hinter glitzernden Frontscheiben reckten sich verdutzte Gesichter und sahen
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