Antiheld (German Edition)
ihm nach. Mit dem Rad zu einer Einheit verschmolzen schoss er den Mittelstreifen entlang.
Die Stimme im Radio gab routiniert die Ergebnisse durch, doch in diesem Moment interessierte ich mich nicht für Fußball. Ich konnte nur noch dem schwarzen Prinzen hinterherstarren und wie sein Körper sich im Fahrtwind bog.
Innerhalb kürzester Zeit wusste jeder, dass es in der Stadt einen Durchgeknallten gab, der schwarze Motorradkleidung trug und die Straßen mit seinem Rennrad unsicher machte, und ich hatte ihn gesehen. Für mich war er ein Held.
Einen ganzen Sommer lang entwischte er der Polizei immer wieder im letzten Moment, dann wurde er von einem Nachbarn denunziert, dem ein Rad und Motorradkleidung in einer Garage aufgefallen war. Es stellte sich heraus, dass der schwarze Prinz ein geistig behinderter Mann Ende dreißig war, der bei seiner Mutter leben musste und so sehr stotterte, dass ihn kaum jemand verstand.
Ich habe nie wieder etwas von ihm gehört, und jetzt halte ich den Zeitungsartikel in der Hand und denke, was er heute wohl macht? Ob er immer noch bei seiner Mutter wohnt und wehmütig an seine große Zeit, die Zeit als schwarzer Prinz zurückdenkt? Keine Ahnung. Ich würde daran zurückdenken wollen. Wie es sich angefühlt haben muss, in dieser Uniform über den Asphalt zu schießen und in gaffende und vor Erstaunen entrückte Gesichter zu sehen. Was für ein Genuss muss es gewesen sein, die Ordnung zu stören. Einfach einmal nicht mitlaufen. Die Paranoia der Gleichmacherei überwinden.
Und welchen Weg hat sie eingeschlagen, was treibt sie heute?
Der Traum der Fischersfrau
«True beauty is something that attacks,
overpowers, robs, and finally destroys.»
Yukio Mishima
Ich lege das Tagebuch weg. Ich weiß, ich kann nicht einschlafen, also mühe ich mich aus dem Bett, um eine Zigarette zu rauchen. Es ist ein Uhr morgens. Die Nacht hat die Stadt fest im Griff. Ich empfinde dabei eine Mischung aus Ekel und Faszination. Die Nacht ist ein Ritual. Meine Augen kehren zu Punkten zurück, die sie schon Millionen Male gesehen haben. Jede Nacht ist das Verspeisen seiner eigenen Leiche. So ist das Leben, tote Dinge verspeisen in der Erwartung, dass wir selbst ein totes Ding werden. Alles, was uns umgibt, ist tot. Hie und da mag eine lebendige Probe vorhanden sein, doch das Übrige, das ist und bleibt tot.
Ich schließe meine Augen und stelle mir vor, ich sei ein einfacher Arbeiter, der von der Schicht in das traute Heim zurückkommt und seine Frau mit Fausthieben vom Geschlechtsverkehr überzeugt. Die Frau hat jeden Abend Angst, wenn sie aus dem Fenster sieht und den leuchtend blauen Overall erkennt, und ich genieße ihre Angst. Meine Fingerkuppen sind von schwerer Arbeit blutig, überhaupt sehen meine Hände aus wie Igel, die von unachtsamen Jugendlichen mit Mofas überfahren wurden. Mit diesen Pranken kann ich unmöglich Schostakowitsch spielen, denke ich, und öffne die Augen. Dann ziehe ich mich an und fahre ins Genki.
Im Genki bestelle ich ein Asahi und verschwinde kurz auf der Toilette, um eine Nase zu ziehen. Nachdem ich ausgetrunken habe, gehe ich in die dritte Etage und klopfe an ihre Tür. Sie teilt mir mit einem freundlichen Lächeln mit, dass ich noch etwas warten muss. Ich nicke und gehe, um mich wieder an die Bar zu setzen. Während ich warte, beobachte ich die Leute an der Bar. Langweilige Typen. Wieder auf der Toilette betrachte ich mein Gesicht einige Minuten lang im Spiegel. Im kalten Neonlicht sieht es alt und künstlich aus. Danach gehe ich wieder hoch.
Die Tür zu ihrem Zimmer steht offen. Ich klopfe an. Erst als sie sagt, dass es okay ist, trete ich ein. Sie liegt in der Badewanne. Ihr schmaler Kopf mit den glatten, braunen Haaren ragt wie eine Boje aus den Eiswürfeln heraus. Ganz langsam beuge ich mich zu ihr hinunter und gebe ihr einen Kuss auf die Stirn.
«Was macht die Schule?», fragt sie und sieht mich mit diesen großen Augen an.
Ich setze mich auf den Rand der Badewanne und zucke desinteressiert mit den Achseln. «Lass uns nicht über die Schule reden», murmele ich und ihre Augenbrauen schnellen nach oben.
«Über was dann?», haucht sie leise und fährt mit ihrem Zeigefinger meinen Unterarm entlang. Ich kann mich nicht entscheiden, ob ich das angenehm finden soll.
«Willst du jetzt ficken?», fragt sie mich und spitzt die Lippen zu einem Kussmund, der abstoßend und ordinär wirkt.
Ich nicke. Die Eiswürfel klirren, als sie sich langsam aus der Badewanne erhebt.
Weitere Kostenlose Bücher