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Antiheld (German Edition)

Antiheld (German Edition)

Titel: Antiheld (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stiff Chainey
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nüchtern: «Was? Der lebt noch immer?»
    «Er bewegt noch seinen Arm», antwortet der Typ und stochert dann mit dem Schraubenzieher in einer klaffenden Spalte oberhalb der Schläfe herum.
    Finn atmet tief durch. Gleich wird der Mann für einen kurzen Moment aus der Grauzone seines Todeskampfes zurückkehren und versuchen, sich den Schraubenzieher aus dem Kopf zu ziehen. Es ist nicht mehr als ein letzter Reflex. Diese Szene sieht Finn fünfmal hintereinander.
    In der letzten Sequenz starrt der Junge mit dem Schraubenzieher resigniert in die Kamera und sagt: «Kann nicht verstehen, wie der noch leben kann. Ich habe eben sein Gehirn gespürt!»
    Eine kurze Pause entsteht, dann antwortet der Kameramann amüsiert: «Aber jetzt ist er tot!»
    Finn skippt noch einmal zu der Szene, in der das verzweifelte Gurgeln zu hören ist, und dreht an den PC-Lautsprechern die Lautstärke hoch. Da ist alles drin in diesen Sekunden zwischen Leben und Tod. Die ganze Sinnlosigkeit, das Absurde, die Qual, die Last. Du bist weg, und niemand wird von dir erzählen können.
    Ein plötzliches Klopfen an der Zimmertür unterbricht seinen Gedankenstrom. «Alles in Ordnung, mein Schatz?»
    Er schüttelt den Kopf und antwortet leise: «Ja, Mutter …»
    Finn hofft, dass sie ihn allein lässt, doch die kurze Phase der Ruhe ist trügerisch. Mit dem entschiedenen Ton einer besorgten Mutter wiederholt sie ihre Frage.
    «Verdammte Scheiße noch mal, ich habe Ja gesagt. Alles in Ordnung!», brüllt Finn und schlägt mit der Faust auf den Tisch. Sorgfältig zieht er die Luft in den Brustkorb und horcht. Mit zwei großen Schritten ist er an der Tür und reißt sie auf. «Du hast mich belauscht, du Schlampe!», giftet er und fordert sie mit einer eindeutigen Geste auf, ihm Platz zu machen.
    «Aber …»
    «Halt einfach die Fresse!»

    Die Haustür kracht. Finn weiß nicht, wohin er gehen soll. Er hat keinen Platz, an dem Freunde auf ihn warten. Alle seine Freunde sind mit der Narration des virtuellen Lebens, seines Lebens Nummer drei verwoben. Sie alle befinden sich in einer unterirdischen Stadt, dem Evil Empire , in dem das Chaos regiert und in der sie alle mit Gegenständen des Alltags bewaffnet umherschleichen und sich gegenseitig umbringen. Alles ist anonym. Alles ist möglich. In diesem Ersatzleben fällt es leicht, Schädel einzuschlagen, denn hier wird die Gewalt endlich von ihrem größten Ballast befreit, der Schuld . Töten als virtuelle Fingerübung.

    In seinem ersten Account wurde aus Finn Dr. Joyride , ein psychotischer Mediziner, der zynische Sätze sagte wie: «Eine Famulatur besteht ja wirklich nicht nur aus Totenaugenzudrücken und Kinderherausziehen. Man könnte sagen, sie besteht auch aus Schmerzensschreien, aus Blut, das in Fontänen aus gewaltsam geöffneten Körpern herausschießt wie Sekt aus einer Flasche, aus freigelegten Sehnen, die krampfhaft zucken, aus spontanen Ejakulationen und heißem Kot, der sich noch im Enddarm befindet. Der Tod ist also ein schmutziges Geschäft.»
    Dr. Joyride trieb bis zum dritten Level sein Unwesen, dann wurde ihm von einem Metzger, der sich Popol bin Laden nannte, der Schädel eingeschlagen.
    In der virtuellen Welt ist man sein eigener Schöpfer, und Finn deutete diese Tatsache als eine Kette negativer, vom echten Leben inspirierter Rückkopplungen, die zu einem neuen Gleichgewicht führen, nämlich zu dem aus Pixeln bestehenden Übermenschen.
    In diesem Sinne erschuf Finn einen furchtlosen Barbarenphilosophen, einen Gewaltintellektuellen erster Güte. Jemand, der Georges Sorel und Michail Bakunin zitiert und dann mit einem Squash-Schläger die Population dezimiert. So wurde Ravachol geboren. Leben Nummer drei.
    Ravachol genießt uneingeschränkte Macht als Mastermind seines Clans. Er bestimmt die Gesetze und Regeln. Er befiehlt, wann wer wie getötet wird. In der Hierarchie des Spiels steht er an der Spitze, und in seiner Identität als Anführer ist er vor allem bekannt dafür, ein grausamer Herrscher zu sein.

    Finn rennt die Straße entlang. Der Asphalt ist durch die Hitze aufgeweicht, die Sohlen seiner Chucks bleiben fast daran kleben. Er kann in diesen Momenten nur an seine Mutter denken. Die Person, die ihm immer noch Pausenbrote belegt und jeden Morgen nötigt, Vitaminpillen zu schlucken.
    Sein Handy klingelt. Es ist sein Vater. Er nimmt das Gespräch nicht an, weil er weiß, dass sein Vater nur mit einem weiteren Pflichttermin sein schlechtes Gewissen erleichtern will.
    Sein Erzeuger hat

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