Antiheld (German Edition)
glich dem Karnevalsfest in einem Irrenhaus. Seine geschlossenen Augen sahen blaues Dunkel, in dem sich Funken entzündeten und schlussendlich explodierten. Jeder dieser Funken teilte sich in zwei Hälften, und aus jeder Hälfte bildeten sich neue Funken, die sich ihrerseits wieder in leuchtende Kreise zerteilten. Einer dieser Funken breitete sich faserartig aus, zuckte wild und nahm sein ganzes Gesichtsfeld ein. Dann waren seine geschlossenen Augen voller Licht.
Als er seine Augen öffnet, ist da nur der flimmernde Bildschirm. Evil Empire. Er trinkt einen Schluck Pornostar, wirft die leere Dose in den Mülleimer und zieht die Kopfhörer aus den Ohren. Manchmal kommt es ihm so vor, als würde er nur ein paar Minuten vor dem Rechner sitzen, nur schnell etwas menschlichen Kontakt ohne Menschen herstellen.
Er steht auf und geht durch das abgedunkelte Zimmer. In dem großen Regal neben seinem Bett stehen, fein säuberlich aufgereiht, alle Staffeln von Star Trek und Stargate. Mit einem Faustschlag zerstört er die pedantische Ordnung, DVD-Hüllen fliegen Geschossen gleich durch die Luft. Nach einem unentschlossenen Seufzen setzt er sich wieder vor den PC und beginnt nervös mit der Maus zu spielen. Immer wieder sieht er auf den Ordner, der sich auf dem Desktop seines Rechners befindet und den er wegen seines Inhalts Giftschrank getauft hat.
Nachdem er den letzten Rest zivilisationsbedingten Zweifels überwunden hat, klickt er auf den Giftschrank und öffnet das darin befindliche Video. Es sind unscharfe, verwackelte Bilder, auf denen man zuerst nur wenig erkennen kann. Schließlich fokussiert die Kamera auf ein Etwas , das reglos zwischen abgebrochenen Ästen im Schmutz liegt.
Man erkennt nicht direkt, dass es sich bei diesem Etwas um ein menschliches Wesen handelt. Es könnte auch ein abgelegter Müllsack sein. Erst als die Kamera heranzoomt, kann man die vagen Umrisse eines Gesichts identifizieren.
Finn hält den Clip an, um die Züge dieses Gesichtes zu studieren und um in ihnen etwas zu finden , das er vielleicht übersehen, bis jetzt noch nicht entdeckt hat. Dass dieses Gesicht immer nur das Gesicht eines normalen Mannes bleiben wird, so oft er sich den Clip auch ansieht, wird ihm erst jetzt bewusst. Es wird durchschnittlich bleiben. Nicht besonders schön, nicht besonders hässlich, nicht besonders. Daran wird sich nichts, daran wird sich nie etwas ändern.
Er betrachtet dieses Gesicht noch einige Sekunden, dann lässt er den Clip weiterlaufen, bis zu dem Moment, in dem der Junge mit dem Hammer die Szene betritt. Der Junge schwingt den Hammer, der in billige, gelbe Plastikfolie gewickelt ist, wie ein König sein Zepter.
Finn drückt erneut auf Pause. In der nächsten, der folgenden Sequenz wird der Junge den Schädel des Mannes mit mehreren gezielten Schlägen zertrümmern. Diese Szene berührt ihn nicht mehr. Es ist vielmehr die Sekunde, bevor er das erste Mal mit dem Hammer zuschlägt. In diesem kurzen Augenblick rudert der Mann hilflos mit den Armen und hebt benommen den Kopf, was bedeutet, dass er nicht mehr ohnmächtig gewesen ist. Er hat alles genau mitbekommen , denkt Finn und drückt auf Play .
Der Junge schlägt hart und unbarmherzig zu. Nach dem fünften oder sechsten Schlag hält er inne und zeigt mit dem Hammer auf das blutüberströmte Gesicht; seine Geste ist voller Stolz.
Finn sieht sich das Gesicht noch einmal ganz genau an. Wie sich die Schädelstruktur verändert, die Nase einfach ausradiert wurde. Wie die Augen aus den zersplitterten Jochbeinen hervortreten wie weißliches Gelee.
«Pass auf, pass auf, sei vorsichtiger!» , sagt eine Stimme, bevor die Linse von Blutspritzern getroffen wird. Die Kamera macht daraufhin einen ungeschickten Schwenk auf den Körper und dann wieder auf das, was einmal ein Gesicht gewesen ist.
«Warte, warte, schlag ihn noch nicht, schau ihn dir an!», kommentiert der Typ mit dem Hammer und zeigt lachend auf den pumpenden Strom schwarzen Blutes, der sich aus gebrochenen Knochen und aufgeplatztem Fleisch seinen Weg bahnt.
Der Mann ist noch nicht tot. Ein unangenehm lautes, gepresstes Gurgeln ist bei jedem seiner Atemzüge zu hören. Finn starrt gebannt auf den Bildschirm, obwohl er die Szenen schon oft gesehen hat. Der Typ kniet sich nieder und sticht mehrmals mit einem Schraubenzieher in den Bauch des Mannes. Er rührt regelrecht in seinen Eingeweiden. Der ganze Leib hebt und senkt sich unter den heftigen Attacken.
Danach fragt die Stimme hinter der Kamera
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