Antiheld (German Edition)
sagt sie, als sie ihn bemerkt, und sieht vorwurfsvoll an ihm vorbei . Mit einer affektierten Geste drückt sie ihre Zigarette aus. «Geht es dir auch gut?»
Finn lächelt ein bitteres Lächeln, das sie flüchtig abnickt. «Mir geht es sehr gut!»
Einen Augenblick lang sieht er sie an, wie ein Sohn seine Mutter ansehen sollte, und hört in sich hinein: Da ist nichts. Kein Gefühl vorhanden, nur Gleichgültigkeit.
«Wo ist eigentlich mein Sparbuch?»
«Welches Sparbuch, Schatz?», antwortet sie und zündet sich eine neue Eve an.
«Das Sparbuch mit dem Geld für den Führerschein.»
«Aber Schatz, du willst doch nicht jetzt deinen Führerschein machen, oder?»
Er schüttelt den Kopf. «Nein, nicht jetzt …»
«Vielleicht sollten wir uns erst mal vertragen, hm? Was meinst du?», sagt sie und sieht dann abwesend auf den Rand ihrer Kaffeetasse.
«Vielleicht sollten wir das tun», flüstert er und versucht ein letztes Mal, den Blick seiner Mutter aufzufangen – vergeblich.
Intermezzo
Andor zündet den Joint an und setzt sich. «Nimkin, Alter, ich bin richtig im Arsch!»
Ich nicke, weil ich nicht weiß, was ich antworten soll. Wahrscheinlich hat er sogar vollkommen recht, wahrscheinlich ist er im Arsch. Mir ist es scheißegal.
«Echt alle haben sich gegen mich verschworen. Da ruft dieser Wichser Hillemann meinen Alten an, um ihm zu stecken, dass ich ihm eine reingelangt habe, und was macht mein Alter, dieser Jude? Der gibt dem Mongo auch noch recht!»
«Ich dachte, du wärst nur suspendiert?»
Andor lächelt bitter und senkt den Blick. «Alter, jetzt ficken die mich richtig, is doch klar!» Eine kurze Pause entsteht. «Ich will Hillemann richtig fertigmachen . Und die Hure Bibby auch», sagt er leise und ahmt mit seiner Hand eine Explosion nach.
«Wusstest du, dass Bibby eine kleine Schwester hat?»
Ich zucke mit den Achseln und nehme den Joint entgegen.
Tagebuch Nimkin
Schreiben ist Menschenflucht, Zersplitterung und Auflösung zugleich. Es ist das bewusste Verschwinden im Labyrinth der Wörter, das Verstecken hinter und das Versinken in den großen, den unumstößlichen Erzählungen. Durch das Schreiben kehren wir an jenen sagenumwobenen Ort zurück, den wir noch aus den alten Fabeln kennen und an dem uns niemand finden kann. Hier ist die Vernunft impotent und kein Herrschaftswissen, keine geistige Kolonisation hindert einen am tendenziellen Zuendedenken .
Dieses Tagebuch ist ein Erklärungsmedium, die in Sätze gekleidete Archäologie meiner Person. Ich habe es abseits des alltäglichen Blendwerks verfasst, aufgeschrieben ohne die Beeinflussung eines Zeitgeistes, der Wahrheit zu einer unbedeutenden gedanklichen Substanz zermalmt. Es ist mein Leben in Zeilen - so wie es ist, nicht wie es sein sollte. Das ist der einzige Grund, warum ich es führe: ein Beweis für die Kausalketten, in denen ich mich befinde und die man einvernehmlich Leben nennt.
Vielleicht sind zukünftige Leser besser in der Lage, meine kryptischen Selbstreferenzen zu interpretieren. Vielleicht kann ich ihnen das Gefühl des Ausgesetztseins, das ich seit jeher empfunden habe, etwas näher bringen.
Meine Generation ist jedenfalls nicht imstande, diese Empfindung nachzuvollziehen, geschweige denn sie zu verstehen. Meine Generation ist eine der schmaleren Begabungen, pädagogisch verheert. Eine Schwächephase der Evolution, in der alle gezwungen wurden, wie Parlamentsabgeordnete zu denken.
Überall exkommunizieren sie an uns das Besondere und Erhabene. Übrig bleibt nur noch die Genremalerei der Degeneration, in der sich Stumpfsinn und das Grobschlächtige Bahn brechen. Es gibt für uns kein Ansinnen mehr, keine neuen Helden, keine Mythen. Der einst so glorreiche Nachruhm ist endgültig zu einer lächerlichen Forderung verkommen.
Heute ist die Huldigung der Masse, das Gesetz des Mobs die neue unumstößliche Wahrheit. Heute sterben wir keinen zweiten Tod in den Geschichtsbüchern, sondern vergessen in unseren Betten. Heute sagen wir die Wahrheit, auch wenn wir lügen; alles ist relativ geworden, stets nur so wahr oder falsch, dass es nicht schmerzt.
Doch selbst im Niedergang, mitten in der alles verschlingenden Katastrophe lässt es sich gut leben: die Herkunftskarte Sohn gutbetuchter und integerer Eheleute ist ein Persilschein. Auf ihr bewege ich mich nahezu unerkannt im und durch das System.
Ich bin ein Kretin, dessen ruinöser Geist in einem defekten Körper steckt. Ein Mängelwesen durch und durch. Jetzt stehe ich am Ende
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