Antiheld (German Edition)
kotzen sich aus, und dann klatsche und schreie ich im Rhythmus eins, zwei, drei, also Jude, Jude, Jude , und Gas, Gas, Gas wie ein Ultra im Fußballstadion.
«Andor …», piepst Hillemann mit seinem durch und durch widerlichen Organ und macht eine abfällige Handbewegung, die wahrscheinlich seine Enttäuschung bekräftigen soll.
So in Wallung geraten hoffe ich auf ein bis jetzt unentdecktes Aneurysma in den tieferen Regionen seines Gehirns, das durch den Moment äußerster Erregung auf die Größe eines Tennisballs aufgepumpt nun endlich zerplatzt wie eine Seifenblase.
Eine kurze Pause entsteht, ein bizarrer, kontemplativer Moment, in dem sich die Spannung schier unerträglich verdichtet. Es ist einer dieser Momente, in denen immer etwas und auf jeden Fall immer etwas Schreckliches passieren muss und auch passieren wird, und dann bemerke ich, dass alle, und ich meine wirklich alle, betreten zu Boden schauen, peinlich berührt wegsehen , und nach einem kurzen Moment realisiere ich, warum alle so beschämt ihre Blicke abwenden. Es liegt daran, dass ich mein Innerstes sozusagen nach außen gekehrt, also laut gesprochen , laut gedacht habe, und demnach haben alle mit ihren eigenen Ohren gehört , wie ich Jude, Jude, Jude und Gas, Gas, Gas geschrien habe.
«Willst du eigentlich nicht verstehen, dass du mit deinem pubertärem Verhalten hier wirklich niemanden mehr schockieren kannst?», sagt Hillemann ganz ruhig und sachlich, aber natürlich weiß ich, dass er völlig außer sich ist. Seine Stimme ist nur noch einen Deut davon entfernt, zu kippen und vollends wie die Stimme eines kleinen, weinenden Mädchens zu klingen. Er ist richtig aufgebracht, aufgewühlt , ich hingegen zucke nur leicht gelangweilt mit den Achseln und grinse amüsiert.
«Niemanden hier interessiert dein dümmliches Geschwätz. Mit deinen Nazi-Geschichten lockst du keinen mehr aus der Reserve. Was soll als Nächstes kommen? Biete uns doch mal was an, anstatt dich immer zu wiederholen, oder kannst du das nicht? Bist du dazu gar nicht fähig?», nölt er weiter und sieht mich streng an.
Vielmehr bleibt es bei einem Versuch, diesen ganz bestimmten Blick, der keine Widerworte duldet, zu produzieren. Wahrscheinlich sind Hillemanns Eier gerade im Begriff, auf die Größe von gesalzenen Erdnüssen zu schrumpfen, und jetzt, jetzt will er sich in die Festung der natürlichen Autorität retten, also sprichwörtlich die letzte Möglichkeit ergreifen, um vor seinem drohenden Untergang zu flüchten.
Leider ist er bereits für alle sichtbar demaskiert. Übrig geblieben ist nur das Abbild eines zutiefst gestörten Mannes, der soeben erstmalig mit seiner eigenen Bonhomie konfrontiert wurde und dem es jetzt, beim Anblick dieser Landpredigerfigur, in der er sich unwiderruflich wiedererkannt hat, eiskalt den Rücken hinunterläuft.
«Und dabei dachte ich, du meinst es tatsächlich ernst. Ich dachte, du willst dir selber eine echte Chance geben, nicht mehr nur belächelt zu werden!», sagt er im Ton des verzweifelten Gönners.
Wie schön er doch immer wieder auf seiner geliebten Ernsthaftigkeit herumreitet, denke ich mir und grinse breit, und dann mischt sich Bibby wieder ein.
«Du bist so ein Idiot», zischt sie und sieht mich mit diesem vorwurfsvollen Weltverbessererblick an.
Ich ignoriere sie und wende mich stattdessen an Hillemann. «Entschuldigen Sie, Herr Hillemann, ich durfte meine Geschichte nicht zu Ende lesen.»
«Zu Ende lesen? Ist das dein Ernst, Andor? Hältst du uns hier alle für völlig verblödet? Warum solltest du das zu Ende lesen? Alles, was du damit willst, ist wieder und wieder provozieren, mehr nicht!»
«Leider ist das nicht ganz korrekt, Herr Hillemann.»
«Ach nein ? Beim letzten Mal hast du Euthanasie und die Konzentrationslager verherrlicht, und jetzt leugnest du wortreich den Holocaust? Was willst du damit erreichen?»
«Erstens habe ich die Konzentrationslager nicht verherrlicht , Herr Hillemann, ich habe lediglich aus dem historischen Kontext heraus eine Möglichkeit zitiert, wie wir mit all den alternativ Begabten und mental Herausgeforderten umgehen könnten. »
«Ab in die Gaskammer, oder wie?!», schreit Bibby jetzt, steht auf und reckt mir ihre geballten Fäuste entgegen.
Herrlich. Fotzenkopf Hillemann will alle beruhigen und hebt besänftigend die Hände.
« Bitte, Herr Hillemann! Ich muss mich von dieser linksradikalen Braut nicht permanent beleidigen oder bedrohen lassen!»
Hillemann seufzt. «Du lässt mir
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