Antiheld (German Edition)
Katz-und-Maus-Spiel, das Draufhauen, das Weglaufen, das Rauchbombenschmeißen, das zersplitterte Glas. Wir sind uns der Unausweichlichkeit, in einer von allem übersättigten und gelangweilten Gesellschaft aufwachsen zu müssen, vollends bewusst.
In der Menge entdecke ich Janosch, der keine fünf Meter von mir entfernt herumsteht. Er erkennt mich und sieht mich ungläubig an, nickt mir aber trotzdem zu. Dann dreht er sich um, schmeißt eine Flasche in Richtung Bullen und brüllt: «Wie ich euch Faschisten hasse! Lotta Continua! »
Als er näher kommt, kann ich seinen schlechten Atem riechen. Insgesamt scheint er eher wenig auf persönliche Hygiene zu achten, ein Phänomen, das ich bei fast allen Linken festgestellt habe. Wahrscheinlich liegt es daran, dass sie ihren eigenen Körper nur als Arbeitskraftbehälter betrachten, als biologisches Vehikel, das von den Händlern des Bösen ausgebeutet wird, bis es zu Staub zerfällt.
Kein Wunder also, dass es die autonome Schickeria mit der Dusche nicht so genau nimmt. Fettige Haare, die strähnig in sein knochiges Gesicht hängen. Unreine, großporige Haut, glasige Augen. An seiner Lederjacke kleben getrocknete Kotzebrocken wie zufällige Dekoration.
Langsam und mit behäbigen Bewegungen kommt er auf mich zu, bleibt stehen und streckt die Hand aus. Ganz brav, wie ein Schüler in der dritten Klasse. Nichts erinnert an einen straßenkampferprobten Schläger . Er grinst verlegen.
«Nimkin», murmelt er.
Sein Händedruck ist lasch und kraftlos. Ich stehe paralysiert vor ihm und schüttele seine Hand so lange, bis er sie irritiert wegzieht.
«Diese Pisser beschützen die Nazis auch noch!», schreit er und nickt in Richtung Polizei. «Verdammte Bullen. All cops are bastards!»
Natürlich verachtet er die Polizei, die in Ermangelung besserer Identifikationsfiguren den Staat repräsentiert, das Schweinesystem.
Direkt neben mir schlüpft plötzlich Bibby aus der gesichtslosen Menge. Vielleicht ist die Empörung, die man ihr ansieht, sogar echt. Mir fällt auf, wie ähnlich sie ihrer Schwester sieht.
Sie schüttelt verwundert den Kopf und fragt: «Was machst du denn hier?»
Ich kann nur an ihre kleine Schwester denken und zucke mit den Achseln. Sie holt Luft, bestimmt, um weitere Fragen zu stellen, Fragen, die wie Messerstiche daherkommen. Mit jedem Atemzug, mit jeder Silbe würde sie mehr von meiner Schale zerstören.
Glücklicherweise schiebt sich Janosch mit einer unbeholfenen Geste zwischen uns. Er traut sich nicht, sie zu umarmen. Er atmet sie nur an. Beide würden ein schönes Paar abgeben, doch irgendetwas behindert sie, behindert körperliche Nähe.
Janosch zwingt sich zu einem flüchtigen Kuss, dann wendet er sich ab und schreit unmotiviert: «All cops are bastards!»
Bibby schüttelt sich. Ein bedrohlich wirkendes Schweigen entsteht. Janosch starrt mich an. Ich spüre, dass er nicht weiß, wie er sich verhalten soll. Vielleicht ist er auch eifersüchtig. Für einen Moment sieht es ganz so aus, als würde er die Kontrolle verlieren, doch dann holt er mit einer hektischen Bewegung eine Flasche Astra aus seinem Rucksack und die Situation beruhigt sich.
Bibby betrachtet ihn ziemlich herablassend, wie er so dasteht und die Bierflasche in der Hand hält. Langsam beginne ich zu verstehen, wie das so zwischen ihnen läuft oder was nicht läuft . Da Janosch nichts zum Öffnen in seiner Jacke findet, reiche ich ihm mein Feuerzeug.
«Astra ist echt das beste Bier …» sagt er trocken, öffnet die Flasche und hält sie mir hin.
Ich nehme einen tiefen Schluck und bin froh, dass es der erste Schluck ist.
«Die Schweine sollen bloß kommen!» Während er das sagt, wird sein Gesicht hart und seine Augen beginnen zu funkeln. Er hat jetzt das Gesicht eines Mörders, eines Menschen, der Schädel eintritt und Rippen bricht.
Ich kenne diesen Ausdruck und ich kenne dieses Verlangen. Ich hole meine Zigaretten raus und biete ihm eine an. Wir inhalieren Rauch, und ich beobachte Bibby schüchtern aus den Augenwinkeln.
«Wo hast du deinen Freund Andor gelassen?»
Ich zucke mit den Achseln. «Der hängt irgendwo rum, keine Ahnung!»
«Ich dachte, der marschiert bei der Gegendemonstration mit und hebt den Arm zum Hitlergruß.»
«Ach, is doch alles nur Show, oder hast du da noch nicht durchgeblickt?»
«Naja, Show? Ich kenne keinen, der den Mythos des 20 Jahrhunderts komplett gelesen hat oder ständig aus Mein Kamp f zitiert.»
«Andor liest und zitiert ‚ne Menge aus allen
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