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Antiheld (German Edition)

Antiheld (German Edition)

Titel: Antiheld (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stiff Chainey
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zu zerstören, etwas dem Erdboden gleichzumachen, wächst rapide. Ich kann noch nicht gehen. Überall sind Menschen, denen ich wehtun könnte. Dem Nächstbesten werde ich die Fresse zertrümmern. Da sind sie – direkt vor mir. Ich bräuchte ihnen nur meine Faust ins Gesicht rammen und zusehen, wie ihr Blut spritzt.
    Doch das ist es nicht. Es ist nicht Gewalt. Meine Wut will ein anderes Ventil, durch das sie sich entleeren kann. Ich kehre der Party den Rücken und gehe den Flur entlang. Am Ende des Gangs liegt das Arbeitszimmer von Nadines Vater. Die Tür ist nicht abgeschlossen, und als ich eintrete, beschleicht mich das perverse Verlangen erwischt zu werden. Ich öffne den Schrank mit den Spirituosen und nehme mir, einfach weil der Name so schön klingt und die Flasche teuer aussieht, einen Scotch, dreißig Jahre alt.
    Damit setze ich mich in den Ledersessel hinter dem Schreibtisch. Das Gesöff geht runter wie Öl. So fühlt es sich also an, denke ich und für einen Moment habe ich tatsächlich alles unter Kontrolle. Die Augen des Wasserbüffels, der als Trophäe an der Wand gegenüber hängt, starren mich an.
    Ich nehme noch einen guten Schluck von dieser edlen Pisse und öffne den Humidor auf dem Schreibtisch. Feinste Importware aus Kuba. Ich lehne mich in den Sessel und zünde sie mir an wie eine ordinäre Kippe.
    Daddy hat den Schreibtisch pedantisch aufgeräumt: Akten und Schreibutensilien bilden eine eigene Geometrie. Selbst das unvermeidliche Familienbild in Hochglanzoptik ist korrekt ausgerichtet. Auf dem Foto präsentiert er sich wie ein echter Diktator, mit allwissendem Lächeln in der Fresse und aufrechter Körperhaltung, das imponiert mir fast. Doch seine Hand liegt verkrampft auf Nadines Schulter, die Ehefrau steht seltsam unbeteiligt daneben und wirkt insgesamt verloren. Irgendetwas stimmt nicht an diesem Bild. Man sieht auf den zweiten Blick, dass es nur Fassade ist.
    Vielleicht übertreibe ich aber auch. Vielleicht will ich, dass es Fassade ist. Vielleicht ist es aber auch tatsächlich einfach nur die Abbildung einer glücklichen Familie, die alles hat, was sie sich wünscht. Kann das sein? Ich weiß es nicht.
    Ich asche auf den Boden und nehmen noch einen Schluck. Der Whisky in Kombination mit dem Rauch der Zigarre ergibt ein eigenartiges Aroma auf meinem Gaumen. Was macht Nadine? Erzählt sie aufgeregt ihren Freunden, dass ich versucht habe sie zu erwürgen? Die Sensationsgier muss doch befriedigt werden.
    In den Schubladen Akten und Schnellhefter, alle ordentlich beschriftet. Bauvorhaben, andere Projekte, uninteressanter und langweiliger Kram.
    Ich schaue mich in den unteren Schubladen um. Fotoalben. Verblichene Polaroids, Schnappschüsse aus Nadines Kindheit. Strandurlaube, Festivitäten und so geht es weiter. Bis zum letzten Album.
    Das letzte Album ist aufwendig in Leder gebunden. Studentenzeit: Nadines Alter beim Fechten. Saufgelage. Auf einem Foto steht er mit seinen Kameraden vor dem mit Fahnen geschmückten Verbindungshaus. Sie sind jung, ihre Körper sehen straff aus. Sie tragen Uniform und lachen, einige halten Bierflaschen in der Hand und prosten sich zu.
    Vorne im Bild steht ein junger Typ mit Pausbacken, der so aussieht, als ob er nicht richtig dazugehört. Irgendjemand hat auf dem Foto mit Kugelschreiber einen Kreis um seinen Kopf gemalt und etwas in fein säuberlicher Schrift an den Bildrand geschrieben. Latrinenreiniger und Küchenfee. Ich kenne dieses Gesicht. Ich kenne es sehr gut.

    Ich komme erst wieder zu mir, als ich die Ruinen des alten Irrenhauses hinter mir gelassen habe. Der letzte Rest an Ordnung und Struktur, den ich in meinem Inneren aufbewahrt habe, bricht vollends auseinander. Jetzt herrscht nur noch heilloses Chaos. Emotionen und Bilder überfluten mich. Ich sehe das jugendliche Gesicht meines Vater. Ich sehe Susannes Gesicht, kaputtgemacht und trotzdem eigenartig schön. Ich schmecke den Alkohol in meinem Mund und übergebe mich.
    Kraftlos sinke ich zusammen, falle auf die Knie. Da ist nichts. Kein Glaube, keine Hoffnung, nur schwarze Kälte und die stampfenden Rhythmen der Nacht. Ich starre zitternd auf meine Kotze und atme tief durch. Dann stehe ich auf.
    Die Ruinen waren immer mein Lieblingsplatz. Ein Ort, an dem Träume entstehen oder enden, und ich bin und bleibe eben nur ein Träumer. Die alten Mauern sind verwittert, der Stein rau. Die Natur holt sich zurück, was ihr genommen wurde. Von hier oben kann ich die Konturen der Stadt erkennen. Miniaturen, auf die

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