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Antiheld (German Edition)

Antiheld (German Edition)

Titel: Antiheld (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stiff Chainey
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Gefäße, die man in einem Krematorium benutzt.

    Das schnelle Gehen befreit und entschlackt mein Denken. Ich versuche zu vergessen. Wie kann es sein, dass mich ein Kuss so beeindruckt? Ich weiß es nicht. Auf jeden Fall ist mir das zu nah, ich brauche die Gewissheit der Einsamkeit. Stattdessen konzentriere ich mich auf das Geschehen, das mich erwartet.
    Ich weiß nicht warum, aber ich nehme den Bus. Vielleicht ist mir nach Enge zumute, nach Schmutz oder dem Verlust der eigenen Intimsphäre. In Bussen sitzt man immer in den Ausdünstungen fremder Menschen – sie sitzen einem gegenüber, sie starren einen an, im schlimmsten Fall möchten sie dich in ein Gespräch verwickeln. Nirgendwo ist die Absurdität des Lebens spürbarer als in den öffentlichen Verkehrsmitteln. Zusammengepfercht wie Tiere und alle mit einem Ziel, dessen Erreichen nichts verbessert. Es sind die kleinen Reisen, die die meiste Kraft kosten. Der Weg zur Schule, der Weg zum Job .
    Der Bus ist fast leer. Die wenigen Fahrgäste sitzen allein und am Fenster, umklammern ihre Taschen oder Einkaufstüten und starren ins Nichts. Ich setze mich in einen leeren Vierer und schließe die Augen. Mit einem saugenden Geräusch schließen die Türen, das sonore Brummen des Motors wirkt beruhigend auf mich. Der Fahrer hört leise Radio, ein Programm das leichte Jazzmusik spielt, sie klingt angenehm dezent, unterbrochen nur von gelegentlichem Rauschen und Knacken.
    Wirklich niemand spricht, ein seltsamer Moment der Seligkeit, und dann, ganz plötzlich, setzt ein Gewitter ein. Es ist eines dieser berüchtigten, heftigen Sommergewitter, die ohne Vorwarnung ganze Landstriche von Staub und Trockenheit erlösen. Blitze zucken, ich erkenne sie selbst mit geschlossenen Augen. Das Donnern ertönt nur Sekunden danach. Regentropfen prasseln auf die großen Seitenscheiben des Busses; es klingt, als spiele man den Hummelflug mit einer kaputten Geige.
    Früher verkroch ich mich bereits unter der Bettdecke, wenn sich ein Gewitter auch nur andeutete. Wenn es sich dann mit aller Macht entlud, ließ ich meine Füße im Freien baumeln und presste sie so lange gegen die voll aufgedrehte Heizung, bis ich die Hitze an den nackten Sohlen nicht mehr ertragen konnte. Die Lust am Schmerz lenkte mich von meiner Angst ab.
    Der Geruch nach Teer und Feuchtigkeit, die sich vom Asphalt absetzt, steigt mir in die Nase, als ich den Bus verlasse. Ich stelle mich unter den schützenden Vorbau der Haltestelle und zünde mir eine Zigarette an. Der Regen verdichtet sich zu einer feinen, grauen Leinwand, hinter der die Häuser wie klobige Monumente wirken. Die schönen Vororte, in denen alles immer weiß ist: die Häuser, die Autos, die Menschen. So weiß und rein, dass kein Schmutz, kein Staubkorn und keine Eigenschaften zu sehen sind.
    Ich ziehe zum letzten Mal an der Zigarette, spüre meine Lungen und gehe los. Der Asphalt glitzert feucht, der Regen hat ein sauberes Gefühl hinterlassen. Ich höre die Geräusche der Party schon von weitem. Das laute Kreischen, alkoholbedingte Laute, die wie grobes Schmatzen klingen. Ich verarbeite sie nicht. Sie fließen einfach durch mich hindurch. Und dann bin ich plötzlich mitten im Geschehen.
    Ein Mädchen, an deren Name ich mich nicht erinnern kann, sagt Hi und sieht mich abwartend an, doch dann erklingt Musik in einer brachialen Lautstärke und beendet das Gespräch abrupt. Man klopft mir auf die Schulter.
    Menschen tauchen in meinem Blickfeld auf und verschwinden wieder, es ist ein Kommen und Gehen. Ich sehe jede Menge Lächeln, jede Menge Schneidezähne. Das bereinigte Gefühl, das ich eben noch in mir gespürt habe, wird von einer raumfordernden Aggression verdrängt.
    Nadine steht mitten im Raum. Sie ist umringt von Typen, die sie alle notgeil angaffen. Mich beachtet sie nicht. Ich gehe an ihr vorbei in die Küche. Auch dort überall Menschen, sie lauern regelrecht. Vor dem Kühlschrank stehen zwei Typen aus meinen ehemaligen Kurs.
    «Hey Alter! Alles klar? Lang nich mehr gesehen.»
    Ich nicke pflichtschuldig und nehme mir ein Bier.
    «Genau, ‚n Bier, Mann! Das ist echt alles, was du brauchst!», sagt er und klopft mir auf die Schulter, als seien wir beste Freunde.
    Es ist der alte Trott: Die Entourage lässt es sich gut ergehen, sie säuft und raucht und redet sich heiß in ihrer Fantasterei.
    Mit dem Bier in der Hand schlendere ich durch das Haus. Guter Geschmack, wo man hinsieht. Ein elaborierter Stil mit Sinn für feine Details und Farben, nicht die

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