Antiheld - Thriller (German Edition)
keine, die das Geschehen beobachtet hatten. Nur die Toten wussten, was wirklich geschah.
Diese und der Mann, der abseits von all den anderen Anwesenden in der letzten Bankreihe saß. Die Augen versteckte die dunkle Sonnenbrille. Sein Grinsen verbarg er hinter vorgehaltener Hand.
Es beriet ihm ungemein Freude, wie sich all die anderen gegen seitig Trost spendeten, um über ihre eigene Trauer hinweg zu kommen. Ein Haufen von Heuchlern, die nun die liebenden An gehörigen spielten.
» Nicht mehr untergehen wird deine Sonne, noch wird dein Mond abnehmen; denn der Herr wird dir zum ewigen Licht sein. Und die Tage deiner Trauer werden ein Ende haben .«
Jemand in den vordersten Reihen heulte auf. Eine Frau. Wahr scheinlich Carmens Mutter. Ohnehin waren ausschließlich Ange hörige und Freunde von Carmen zu der Beerdigung erschienen. Von Andrew aber, war niemand gekommen. Selbst die Lehrer verheimlichten keineswegs den Umstand, dass sie nur ihrer ehe maligen Schülerin zuliebe gekommen waren. Dass Andrew in der gleichen Messe wie Carmen gehuldigt wurde, war Vincent Keller zu verdanken. Er bat die Kirche wie auch Carmens Familie darum. Ein gewagtes Unterfangen. Immerhin handelte es sich bei Andrew um Carmens Mörder, doch half Kellers unverbesserliche Überre densart. Er erklärte der Familie, dass Andrew niemanden habe und er nicht wolle, dass er wie ein räudiger Hund beigesetzt wur de.
Ganz gleich, was er auch getan haben mochte.
Eine von Kellers Fähigkeiten bestand darin, andere Menschen zu umgarnen. Besonders Frauen. Hier ein paar liebe Worte, da ein nettes Lächeln und schon fraßen ihm die Weiber aus der Hand. Dies war auch nützlich bei seiner Nebentätigkeit, obwohl ihm der Angriff aus dem Hinterhalt noch etwas besser gefiel. Das machte es gleich noch amüsanter.
Es trieb ihn auch wieder in die Nacht hinaus. Für die nächste Woche war Nebel angekündigt gewesen. Hoffentlich irrten auch dann wieder einige verlorene Schäfchen umher, an denen er sich austoben durfte.
» Liebet eure Feinde; segnet, die euch fluchen, tut wohl denen, die euch hassen .«
Eine glasklare Anspielung auf Andrew. Den Mörder der armen kleinen Carmen. Ein Kichern drang durch die Handfläche hin durch. Allerdings übertönte die durch das Mikrofon verstärkte Stimme des Pastors dies. Keller täuschte ein Hüsteln vor. Dann faltete er die Hände, einem Gebet gleich, ineinander. Seine Augen huschten über die vielen gesenkten Köpfe. Der von Kingsley fehl te. Seine Messe war für letzte Woche angesetzt gewesen.
Man hatte ihn mit aufgeschnittenem Bauch in einer Toiletten kabine der Schule gefunden. Während des Unterrichts überrasch te jemand den armen Chad beim scheißen, rammte ihm ein Messer in den Magen, riss diesen auf und verteilte seine Eingewei de über den Boden der Herrentoilette. Mit seinem Blut wurde das Wort »Mörder« an die Kabinentür geschrieben. Zu dumm, dass erst zwei Tage später darauf die Leiche Carmens gefunden wurde.
Keller beobachtete wie die Trauerenden aufstanden. Anscheinend folgte nun der Gang zum Grab. Auch er erhob sich, wartete allerdings bis die Mehrheit der Menge bereits hinaus geschritten war. Er legte die Sonnenbrille ab, während er Carmens Mutter an visierte, die ein schwarzes Kostüm trug. Über ihrem Arm lag ein ebenfalls schwarzer Wollmantel. Die dichten Locken verbargen das verweinte Gesicht. Mit einem Taschentuch tupfte sie sich im mer wieder die durch die Mascara verfärbten Tränen fort.
»Misses Morelli!?« Nun stand sie unmittelbar neben seiner Sitz reihe. Sie blickte auf, mitten in die durchdringenden Augen.
»Ja?« Ein Schniefen.
»Carmen war eine gute und äußerst freundliche Schülerin. Sie haben mein volles Beileid.«
»Danke.« Ein weiteres Schniefen. »Sie war wahrlich ein liebes Kind. Meine Carmen.« Bei der Erwähnung des Namens ihrer Tochter begann ihre Stimme zu brechen.
Rasch biss er sich auf die Innenseite seiner Wange, um ein Lachen zu vermeiden, was ihm wiederum die Tränen in die Augen trieb. Eine kleine Träne bahnte sich ihren Weg zum Kinn hinab.
»Carmen wird uns allen in bester Erinnerung bleiben.« Keller betonte den Namen absichtlich so prägnant. Das Leid der Mutter fand er einfach köstlich. Doch noch mehr amüsierte ihn die Tatsa che, dass sie ihre Tochter wohl für eine Heilige hielt. Das kleine Luder, das die Männer verrückt machte, indem sie viel von ihren Brüsten freigab, den Tanga vorblitzen ließ oder auch schon mal einen Lehrer verführte, um
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