Antiheld - Thriller (German Edition)
zu haben.
»Nein!« Er klang wirklich entsetzt. »Wie konnte das passieren? Weshalb sind Sie nicht sofort zu mir gekommen, bevor die Situa tion eskalieren konnte?«
»Wir dachten, wir schaffen es allein«, erklärte Claire leise. Nervös spielte sie mit dem Reißverschluss ihrer Handtasche. »Aber bin ich nicht deswegen gekommen.« Diese Hürde würde sie wohl noch mehr Überwindung kosten. »Ich denke, dass ich am meisten zu der Trennung beigetragen habe. Ich glaube, dass es meine Schuld gewesen ist.«
Albert stützte das Kinn in der Hand ab. »Erläutern Sie dies, bitte.«
Claire nickte. Ihre Augen fixierten wieder die vielen Auszeich nungen an der Wand. Sie wusste sich in guten Händen.
»Meine Eltern.« Die blauen Augen schimmerten. »Meine Eltern wurden ermordet.«
Der Psychologe zeigte Verständnis, indem er nickte. »Mein Bei leid. Dennoch, fahren Sie fort.«
»Meine Eltern«, begann sie erneut, wobei die Tränen nun die Wangen hinab liefen. » Ich habe meine Eltern umgebracht.«
Albert verharrte in seiner Stellung. Bloß seine Augen demons trierten sein Entsetzen. »Okay.« Er räusperte sich. Man bemerkte sein Unbehagen, auch wenn er es zu kaschieren versuchte. »Wie ist dies vonstatten gegangen? Bei Mord musste doch die Polizei er mittelt haben. Hat diese denn keinen Verdacht geschöpft?«
»Es war ein Unfall. Ich wollte das niemals geschehen lassen.« Claire wurde von einem Heulkrampf durchgeschüttelt, bevor sie endlich von Albert eine Packung Kleenex gereicht bekam. »Ich … ich war so wütend, doch ich wollte sie doch niemals umbringen.« Sie senkte erneut den Kopf, biss dabei auf ihre Lippe, um peinliche Geräusche zu unterdrücken. »Die Polizei ging von Einbrechern aus, die in das Haus eindrangen und meine Eltern ... ja ... ab schlachteten . Niemals käme man auf die Idee, dass ein kleines Mädchen an dem ganzen Unglück Schuld gehabt hätte. Jedenfalls wollte ich unter keinen Umständen, dass dasselbe noch einmal passiert. Nach dem Tod meiner Eltern lebte ich fortan bei meiner Tante. Das war wohl die schlimmste Zeit in meinem ganzen bisherigen Leben.«
Claire atmete erneut einige male durch. Ihre Unterlippe zitterte leicht. »Sie glaubte, dass ich vom Teufel besessen sei oder derglei chen, weswegen sie alles Mögliche unternahm, um mich zu reini gen . Sie verbrannte meinen Rücken mit dem Bügeleisen, duschte mich mit brühend heißem Wasser ab oder schlug mich bis zur Be sinnungslosigkeit. Das schlimmste an dem ganzen war einfach, dass ich keine Emotionen zulassen durfte, weil sich die Geschichte sonst wiederholt hätte. Das wollte ich auf jeden Fall verhindern. Tatsächlich schaffte ich es, meine Wut, die ganzen Jahre lang zu unterdrücken.
Irgendwann starb sie eines natürlichen Todes und ich war zu mindest teilweise frei. Dann lernte ich Jack kennen. Nie mehr konnte ich einem Menschen Vertrauen schenken, doch Jack lehr te mich eines Besseren. Er zeigte mir eine neue Welt, zeigte mir Liebe, schenkte mir Vertrauen. Aus diesem Grund wollte ich ihn auf keinen Fall verletzen. Nicht auf körperliche und nicht auf see lische Art. Allerdings wurde mir vor kurzem wieder bewusst, dass dies einfach unmöglich ist, weswegen ich zu dem Entschluss kam, dass es das beste wäre, getrennte Wege zu gehen.«
Albert nickte, auch wenn er die Worte erst einmal verdauen musste. »Das kann ich nachvollziehen«, meinte er ehrlich. »Aber wollen Sie jeglichen Beziehungen aus dem Weg gehen, um kein unnötiges Risiko einzugehen? Sie müssen wissen, dass es manch mal ratsam ist, Risiken einzugehen. Das müssen Sie sich bewusst werden.«
»Aber ich habe solche Angst, dass es sich wiederholt.« Sie schnäuzte in das Papiertuch hinein. »Das möchte ich auf jeden Fall verhindern.
»Ja, Claire.« Albert verstand sie nur zu gut, doch wollte sie für allein durch die Welt ziehen? »Um noch einmal auf die Medikamente zurückzukommen. Womöglich brauchen Sie auch einfach eine erhöhte Dosis oder ...«
»Nein!« Sie schüttelte heftig den Kopf. »Nein, verdammt! Ich habe bereits alles versucht. Es funktioniert nicht! Ich bin zu diesem Leben in Einsamkeit verdammt! Ich habe es nicht anders verdient. Immerhin bin ich eine kaltblütige Mörderin.«
Als Claire merkte, dass sie wieder in den üblichen Emotionsfluss verfiel, legte sie den Kopf in den Nacken und schnappte hastig nach Luft.
»Tut mir leid.« Sie schloss die Augen. Mit flatternden Lidern vollzog sie ihre Atemübung, die allerdings nur mäßig Erfolg zeig
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