Antiheld - Thriller (German Edition)
bessere Noten zu bekommen.
Wortlos schloss Keller die Frau in die Arme. Erst verwirrt über diese Geste, dann aber gerührt, heulte sie von neuem auf und weinte so lange in seinen Mantel hinein, bis sie die Särge Carmens und Andrews aus der Kirche trugen.
19
Tief in seinem Inneren wusste er, dass es so kommen würde. Nacht für Nacht suchte ihn die Ahnung heim. Und dann wurde sie endgültig Realität.
Das, obwohl er seine Familie verließ. Christian glaubte damals, Rachel und Ruby in Gefahr zu bringen, sollte er weiter in ihrer Nähe verweilen. Aber das Schicksal schlug dennoch zu.
Vincent Keller trat in ihr Leben, mit nur einem Ziel: Christian von innen heraus zu zerstören. Keller war durch und durch Sadist. Ihn interessierten mehr die Schmerzen seiner Opfer, als den erlö senden Tod. Darum hielt er auch Christians Familie in seinen Klauen. Sie sollten als Mittel zum Zweck dienen. An ihnen würde er all seine grausamen Neigungen ausleben. Es war alles von An fang an geplant gewesen und Christian sah es nicht kommen. Was war er schon für ein Held, wenn er noch nicht einmal seine ge liebten Menschen beschützen konnte?
Er musste unbedingt mit Ruby sprechen. Rachel hielt noch immer Abstand zu ihm. Seine Tochter aber, würde ihm mit Sicherheit alles über den neuen Freund ihrer Mutter erzählen. Wie sie gesehen hat, wie er Rachel küsst. Sie streichelt. Sie …
Er verwarf den Gedanken, so schnell wie er gekommen war. Zu sehr widerte ihn dieser an.
Wieder stand er auf der gegenüberliegenden Straßenseite von der Haltestelle, an der Ruby, wie jeden Schultag auch, auf den Bus wartete. Christian erkannte auch das Mädchen wieder, das bereits beim letzten Mal bei ihr stand. Diesmal schien sie jedoch nichts zu erzählen zu haben. Dafür strahlte Ruby über das ganze Gesicht. Ihre Wangen waren von der Kälte etwas gerötet. Das Haar trug sie heute offen, doch saß die rot-weiß gestreifte Mütze auch heute auf ihrem Kopf. Und was Christian einerseits erleichterte, ande rerseits aber irritierte, war, dass sie lachte, während sie sprach. Als er sie letztens gesehen hatte, wirkte sie noch recht betrübt, doch schienen ihre ganzen Sorgen vergessen.
Lag es an der Begegnung mit ihrem Vater?
Oder womöglich an ihrem neuen Vater?
Nein! Niemals würde er zulassen, dass dieses Monster seinen Platz einnimmt. Er mochte sich zwar unter seine Familie gemischt haben, doch hieß das noch lange nicht, dass er auch seinen Platz als Familienoberhaupt angenommen hatte.
Ein Bus fuhr ein. Die Schüler reihten sich auf. Einige gesittet, andere wiederum schubsten andere Kinder herum. Zu Christians Überraschung machte Ruby keine Anstalten dazu, ebenfalls in den Bus zu steigen. Sie blieb stehen, während sie ihrer Freundin zuwinkte.
Fuhr sie etwa mit einer anderen Linie? Nein, normalerweise kam sie stets mit dieser nach Hause. Vielleicht wartete sie auch auf jemanden, um von diesem abgeholt zu werden. Rachels Schwester? Rachel selbst? Oder sogar …
Als die Tür des Wagens aufgerissen wurde, schlug ihm die kalte Luft und Nieselregen entgegen. Christian klappte den Kragen sei nes Mantels hinauf, schloss die Tür und sperrte das Auto mittels Fernbedienung ab.
Mit einem flüchtigem Blick auf beiden Seiten, rannte er über die Straße. Auf dem Bordstein angekommen, kämpfte er sich durch die Herde Schüler, die noch immer auf ihre Fahrmöglichkeit warteten.
Ruby beachtete ihre Umwelt gar nicht. Gedankenverloren blickte sie ins Nichts. Erst als sie einen schweren Druck auf ihrer Schulter verspürte, wandte sie sich um.
»Hallo, Kleines.«
»Daddy!«
Zwar hatte er mit einer freudigen Begrüßung ihrerseits gerechnet, doch keineswegs mit dem Sprung in seine Arme. Schnaufend empfing er sie, um sogleich ein Lachen auszustoßen.
»Nicht so stürmisch! Daddy ist nicht mehr der Jüngste.« Er strich seiner Tochter über die kühle Wange. »Weshalb bist du eigentlich nicht gleich nach Hause gefahren? Holt dich jemand ab?«
Sie nickte. »Mama kommt gleich vorbei. Wir wollten noch nach einer Tapete für mich gucken.«
»Tapete?« Christian wirkte plötzlich nervös. »Renoviert ihr?«
Rubys betrübten Gesichtsausdruck bestätigte seine Befürchtung. »Wir ziehen in ein anderes Haus. Mama will in unserem alten nicht mehr bleiben. Aber sie hat gesagt, dass wir nicht allzu weit wegziehen werden. Nicht weit weg von der Schule. Dann kann ich meine Freunde noch weiterhin sehen.«
»Ja.« Christian hörte nur bedingt zu.
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