Anton Pfeiffer und der Zauberkongress (German Edition)
Regalfluchten zu erkennen waren, die irgendwo in der Dunkelheit verschwanden.
Emma und Oskar waren unterdessen die Wendeltreppe am Eingang emporgestiegen und standen auf der ersten Galerieebene vor einem Regal. Anton guckte hoch und sah, dass Emma bereits mehrere Bücher in den Händen hielt, einige davon dick wie Ziegelsteine, und Oskar neben ihr auf einem wackligen Holztreppchen damit beschäftigt war, weitere aus dem Regal zu ziehen.
„Ja, das sieht gut aus, moderne Reinigungszauber, und dies da vorne noch…alchemistische Brillenkunde!“, hörte man Emmas Stimme leise durch den Raum hallen, dazu ertönte ein gedämpftes Schnaufen von Oskar. Das konnte ja eine Weile dauern.
Anton schloss die Augen, zog die Luft ein und genoss für einen Moment den Duft von vergilbtem Papier und altem Leder. Was für ein wunderbarer Ort für jemanden, der Bücher liebte! Er trat an eine der Regalwände. Sta u nend glitt sein Blick über Konvolute aus vergilbten Schri f ten, uralte Foliante und Bücherrücken mit Verzierungen aller Art. Zwischen Einbänden mit Wappen und Symbolen prangten kunstvoll verarbeitete Lederrücken mit latein i schen Schriftzeichen und bläulich illuminierten Buchst a ben, die im fahlen Licht der Kachelfenster geheimnisvoll vor sich hin schimmerten.
Ehrfurchtsvoll glitt sein Blick an den Titeln entlang. Die Bibliothek schien nach Themen geordnet zu sein. Neben ihm in der Abteilung „Historisches“ blinkte eine golden verzierte „Bibel der Magie“, ein paar Reihen daru n ter „Die vierte Höllenfahrt des Doktor Faust“ und eine abgegriffene Abhandlung über „Magie im Mittelalter“. Gebannt schritt Anton an dem Regal entlang und stellte fest, dass ein paar Reihen höher auch ganz praktische Sachliteratur zu finden war. Da gab es „Die Hexe in der Gesellschaft“, „Moderne Besenkunde“, „Fernreisen per Quantensprung“ und ein Stück weiter oben das mehrbä n dige Kompendium „Moderne Naturwissenschaften“, das erstaunlicherweise dem Abschnitt Humor zugeordnet war. Und daneben unzählige Lederrücken mit geheimnisvollen Titeln, wie „Prophezeiung des Samuel“ oder „Das Buch der Geister“. Es wollte gar kein Ende nehmen.
Anton fiel auf, dass einige der Bücher ein eigentüml i ches Aussehen hatten. Ihre Einbände schienen sich nach außen zu wölben, und es sah so aus, als würden die z u sammengepressten Seiten zwischen den Buchdeckeln wie in Körpern vor sich hin atmen. Pochende, lebendige O r gane, prall gefüllt und voller Geheimnisse.
Gedankenversunken betrachtete er die pulsierenden Bücherrücken. Ein schwindeliges Gefühl beschlich ihn. Als würde um ihn herum eine ganz eigene Welt existieren, eine Welt aus Geschichten. Er blickte an den endlosen Regalreihen empor.
Vielleicht war ja tatsächlich alles Mögliche wirklich? All die Einfälle, Gedanken und Ideen, all die Figuren und Helden, vielleicht wurden sie real, sobald irgendjemand auf der Welt sich hinsetzte und ihre Geschichte in einem Buch nachlas. Eine zeitlose Wirklichkeit in unendlichen Variat i onen. Grübelnd ließ Anton seinen Blick an den Regalre i hen entlang schweifen. Aber was passierte, wenn die B ü cher geschlossen waren, gingen die Geschichten trotzdem weiter? Und was war mit ihren Darstellern, wussten sie, dass sie Teil eines Buches waren? Vielleicht lebten sie ihr eigenes Leben, irgendwo in einer parallelen Wirklichkeit, fernab und unbehelligt von den Sorgen und Nöten ihrer Leser.
Aber halt, dachte Anton. Konnte er sich so sicher sein, dass diese Bibliothek mitsamt all ihren Büchern überhaupt existierte? Keine Frage, er war hier. Aber nach menschl i chem Ermessen war das schlicht unmöglich! Absolut u n vorstellbar! Kein einziger seiner Mitschüler würde ihm glauben, dass sich im Inneren der alten Eiche eine Bibli o thek befand.
Aber andererseits. Woher sollten sie es auch besser wi s sen? Schließlich war mit Sicherheit noch niemand auf die Idee gekommen, den Baumstamm nach einem spreche n den Türknauf abzutasten.
Anton war neben einem der Regale stehengeblieben und betrachtete die Inschriften. Es war die Abteilung J u gendliteratur. Langsam strich er mit der Hand an den B ü cherrücken entlang und stellte erfreut fest, dass hier Titel zu finden waren, die er selbst schon gelesen hatte. Er pa s sierte „ Ronja Räubertochter“, „Momo“ und „Grimms Märchen“, bis er schließlich bei „Alice im Wunderland“ ankam. All diese Bücher hatte er selbst gelesen, zum Teil
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