Antonias Wille
leblosen Körper sprechen zu hören, und das auch noch in deutscher Sprache, verschüttete Rosanna etwas von dem Tee. Die Spritzer landeten auf dem Flickenteppich vor dem Bett.
»Sie sind in Sicherheit. Und Ihr Kind und Ihr Mann sind es auch.« Sie machte unsicher eine Pause. »Ich bin Rosanna und ⦠ich wohne hier«, setzte sie noch hinzu und blieb mittenim Raum stehen. Nun, da Claudine wach war, verspürte Rosanna ihr gegenüber eine plötzliche Scheu.
»Rosanna â¦Â« Claudine wiederholte den Namen langsam. Dann wanderten ihre Augen durch den Raum, wobei ihr Blick für einen kurzen Moment auf jedem Gegenstand ruhte.
Was gab es da zu gucken? Störte sich die Frau an dem bisschen Staub? Oder war ihr die Umgebung zu schäbig? Unruhig trat Rosanna von einem Fuà auf den anderen.
»Du hast ein gutes Auge. Diese Kommode da ⦠Wie du die Blumen vor dem Spiegel arrangiert hast â sehr geschmackvoll! Und die Kissenparade auf der Fensterbank â das nenne ich ländlichen Chic!«
Rosanna hätte ihrer rauen Stimme stundenlang lauschen können.
Was bedeutete wohl ländlicher Chic? Dass sich die Frau, die gerade dem Tod von der Schippe gesprungen war, über die Einrichtung ihres Zimmers auslassen würde â damit hatte Rosanna nicht gerechnet.
Mit einer schwachen Geste winkte Claudine Rosanna zu sich. Die Hand, die sie auf Rosannas Finger legte, fühlte sich warm, aber nicht mehr fiebrig an.
»Du hast mir das Leben gerettet«, sagte die Frau schlicht. »Ich weià nicht, wie ich dir dafür danken soll.«
Rosanna schüttelte lächelnd den Kopf. »Da gibt es nichts zu danken. Und jetzt trinken Sie den Tee, damit Sie schnell wieder auf die Beine kommen! Ihr Mann und Ihr kleines Mädchen brauchen Sie nämlich.« Sie beugte sich über die Kranke und wollte ihr etwas von dem Tee einflöÃen, doch die Frau nahm Rosanna die Tasse ab und führte sie mit zittriger Hand selbst an den Mund.
Stumm beobachtete Rosanna sie, und dabei fiel ihr nicht nur ein Stein, sondern ein ganzer Felsbrocken vom Herzen.
Die Fremde zog eine Grimasse. »Dieses Getränk schmeckt etwas bitter. Wenn ich vielleicht ein wenig Zucker haben könnte?«Nachdem Claudine wieder eingeschlafen war, legte sich Rosanna selbst ein paar Stunden hin. Ihr Rücken schmerzte, und das Kind in ihrem Bauch rumorte wie nie zuvor. Der Marsch durch die Nacht hatte sie sehr erschöpft. Aber schon um die Mittagszeit war sie wieder auf den Beinen und kochte für die Kranke und die Männer eine kräftige Fleischbrühe.
Claudine bestand darauf, die Brühe selbst zu löffeln. Alexandre saà mit einem glücklichen Lächeln daneben und dankte in einem deutsch-französischen Kauderwelsch abwechselnd Gott und Rosanna für deren Hilfe.
Von da an ging es aufwärts. Claudine war eigentlich noch zu schwach, um aufzustehen, aber schon am nächsten Tag schleppte sie sich um die Mittagszeit die Treppe hinab, um sich in die gute Stube zu setzen. Da sie keinerlei Anstalten machte, in die Küche zu kommen, servierte Rosanna allen das Mittagessen am groÃen eichenen Tisch mit den lederbezogenen Stühlen. Für die Männer hatte sie Bratkartoffeln mit Speck zubereitet, für Claudine und das Kind eine Milchsuppe, die von der Kranken jedoch ignoriert wurde. Stattdessen häufte sich Claudine ein paar Löffel Kartoffeln auf den Teller. Rosanna, die sich noch immer darüber wunderte, wie schnell sich die Kranke in eine ziemlich eigenwillige und anspruchsvolle Frau verwandelt hatte, warf schüchtern ein, das Essen sei für einen angeschlagenen Magen doch viel zu deftig. Doch da schob sich Claudine schon die erste Gabel in den Mund.
»Wunderbar, einfach wunderbar!«, murmelte sie immer wieder und verdrehte dabei genieÃerisch die Augen.
Rosanna strahlte.
Nach dem Essen bat Claudine Rosanna, ihre Tasche zu holen. Rosanna staunte nicht schlecht, als die Kranke kurze Zeit später mit Spiegel, Puder und Kamm hantierte und sich zu guter Letzt sogar die Lippen mit einer roten Creme aus einem winzigen Tiegel betupfte, bis sie aussahen wie eine aufgeplatzte Kirsche.
»Eine Frau muss in jeder Lage das Beste aus sich machen,glaube mir, meine Liebe!«, sagte sie zu der verblüfften Rosanna und bot ihr von der Lippenfarbe an. »Das gilt auch für deinen Zustand«, fügte sie hinzu und tippte ungeniert auf
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