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Antonias Wille

Antonias Wille

Titel: Antonias Wille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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Rosannas dicken Bauch.
    Rosanna lehnte das Angebot jedoch verlegen ab, stellte das schmutzige Geschirr auf ein Tablett und verließ verwirrt den Raum. Wie konnte das angehen? Gerade noch war Claudine todkrank gewesen, und nun? Lippenfarbe – du meine Güte!
    Wer ist diese Frau, fragte sie sich nicht zum ersten Mal und ärgerte sich, dass sie noch immer nicht den Mut gefunden hatte, ihren Gast einfach zu fragen.
    Obwohl sich Claudines Zustand so schnell gebessert hatte, bestand Rosanna darauf, dass die drei Gäste noch ein paar Tage blieben. Ein Marsch zu Fuß durch die teils noch schneebedeckten, teilweise schon knöcheltief aufgeweichten Wege nach Frankreich wäre in Claudines Zustand blanke Unvernunft gewesen, das musste selbst Alexandre einsehen, der so schnell wie möglich weg wollte. Auch er sprach ein recht manierliches Deutsch, nur die große Sorge um seine Frau hatte ihn in seiner Muttersprache reden lassen.
    Nachdem es Claudine besser ging, hätte Karl sie ohne mit der Wimper zu zucken wieder im Spicher einquartiert, doch Rosanna bettelte so lange, sie und das Kind im Haus behalten zu dürfen, bis er endlich nachgab.
    Obwohl Claudine manchmal ein wenig von oben herab tat, war Rosanna fasziniert von der geheimnisvollen Fremden. Es machte ihr Spaß, die nun stets nach Lavendelpuder duftende Frau zu umsorgen, in deren Gegenwart die Stunden davonrannten wie ausgelassene Fohlen.
    Doch Claudines Temperament hatte auch noch eine andere Seite. Ihre Launen passten zum herrschenden Aprilwetter. Gerade noch gleißend hell, versteckte sich die Sonne schon ein paar Minuten später hinter dicken Wolkenbergen und rief eine regelrechte Weltuntergangsstimmung hervor.
    Â»Das Weib hat nicht nur die Hosen an, sondern auch die Knute in der Hand!«, brummte Karl, als Claudine ihren Mann wieder einmal wegen einer Kleinigkeit anschrie. Doch in Karls Stimme lag ein Hauch von Bewunderung – selbst der alte Brummbär konnte sich dem Charme der jungen Frau nicht entziehen. Die beiden seien Künstler, hatte er knapp entgegnet, als Rosanna ihn fragte, um wen es sich bei den Gästen eigentlich handele. Künstler? Aha …
    Rosanna begann Claudine noch genauer zu beobachten: Wie ihre schwarzen Augen funkelten, wie rasch sich ihre Lider hoben und senkten! Sie erzählte mit Händen und Füßen, als wäre die Sprache allein nicht ausreichend, um all das auszudrücken, was sie sagen wollte. Ihre voll tönende Stimme wurde von Stunde zu Stunde stärker. Es fiel Rosanna schwer zu glauben, dass sie dieselbe Frau vor sich hatte, die noch ein paar Nächte zuvor in ihrem eigenen Dreck lag und an ihrem Erbrochenen zu ersticken drohte.
    Auch Claudine war neugierig, sie wollte alles über Rosanna und deren Lebensumstände wissen. Nur über die Umstände, die sie selbst hierher gebracht hatten, erzählte sie nichts. Rosanna drängte sie nicht, auch wenn sie inzwischen beinahe vor Neugier platzte.
    Und Claudine sang …
    Noch nie hatte Rosanna einen Menschen so singen hören! Nicht glockenrein wie der Knabenchor unten in der Rombacher Kirche, sondern irgendwie rauchig, als hätte Claudine mit Salzwasser gegurgelt. Claudine sang, während sie darauf wartete, dass Rosanna ihr kleine runde Pfannkuchen fürs Frühstück buk. Sie sang beim Spielen mit ihrem Kind, manchmal sogar dann, wenn sie allein auf dem Sofa in der Stube saß. Es war ihr gleichgültig, ob sie Zuhörer hatte. Claudine sang so, wie andere Menschen atmeten.
    Eines Abends packte Alexandre seine Geige aus und spielte für seine Frau. Das Wehklagen der Saiten wand sich um die kräftige Frauenstimme, doch bald wurde der Geigenklang vonder Stimme überwuchert, so wie wilder Wein eine Wand verschwinden lässt. Reglos saß Rosanna da und lauschte, unfähig, sich zu bewegen oder etwas zu sagen. Ihr Kopf, ihr Bauch – ihr ganzer Körper war erfüllt von der Musik. Das Blut in ihren Adern pulsierte, die feinen Nackenhärchen stellten sich auf wie in einer frischen Brise.
    Diese beiden waren tatsächlich Künstler, und sie waren imstande, sich in der Musik zu vereinen.
    Welches Schicksal hatte diese ungewöhnlichen Menschen hierher geführt? Die Frage ließ Rosanna nicht mehr los.
    Als die beiden Männer wieder einmal unterwegs waren und der Säugling schlief, platzte Rosanna schließlich heraus: »Claudine, ich … ich habe noch nie eine Frau

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