Antonias Wille
sie nicht vom Rathaus unterscheiden zu können? Simone hatte schon eine weitere spitze Bemerkung auf den Lippen, doch dann besann sie sich. SchlieÃlich wollte sie nicht ihre ganze kostbare Zeit mit dem GroÃvater verbringen, sondern das Gespräch so schnell wie möglich beenden. Warum lässt er sich nicht von Rosanna erzählen, wie es in der Kirche aussieht?, fragte sie sich im Stillen. Trotzdem beschrieb sie Karl die bunten Fenster, auf denen die heiligen Apostel abgebildet waren. Und die Statue der Mutter Gottes mit dem Jesuskind. AuÃerdem die Votivbilder, die in Reih und Glied hingen und eine ganze Längsseite der Kirche einnahmen, sodass alle Kirchgänger unwillkürlich darauf blickten.
»Diese Votivtafeln â ich dachte, solche gäbe es nur in einer Wallfahrtskirche?«, unterbrach Karl Moritz seine Enkelin.
»Ich weià es nicht genau. Manchmal bringen die Wallfahrer sie von ihren Pilgerreisen mit und hängen sie dann in unserer Kirche auf. Aber ich glaube, es gibt auch Tafeln von Leuten, die noch nie wallfahrten waren«, antwortete Simone unsicher.
»Aha. Erzähl weiter: Gibt es jemanden im Dorf, der solche Tafeln bemalt?«
Diesmal wusste Simone Bescheid. »Nein. Soviel ich weiÃ, geben die Leute die Tafeln bei Herbert Burgmann in Auftrag. Das ist ein DevotionaliengroÃhändler, der durch die Gegend reist und alle paar Wochen zu uns in den âºFuchsenâ¹ kommt. Der hat einen Katalog mit verschiedenen Vorlagen dabei â ich durfte schon einmal hineinsehen. Fast jedes menschliche Elend kannstdu malen lassen. Und als würde das nicht reichen, nennt Burgmann den Leuten auch noch den richtigen himmlischen Helfer dafür!« Simone lachte verächtlich auf. »Manche machen es sich da ziemlich leicht ⦠Wenn sich die Leute schlieÃlich entschieden haben, wen sie um Hilfe bitten wollen, lässt er die Tafeln irgendwo nach ihren genauen Wünschen bemalen.«
»Herbert Burgmann, aha. Und gibt es tatsächlich noch viele Leute, die sich mit so einem Bild die Gnade Gottes erkaufen wollen?«
Irritiert schaute Simone zu, wie der alte Mann etwas auf ein Stück Papier kritzelte. Ihr gefiel der leicht abfällige Ton nicht, in dem der GroÃvater sprach. Andererseits war ihr in den letzten Minuten ein Gedanke gekommen: Er war ja schon sehr alt, fühlte vielleicht seinen Tod nahen und wollte jetzt etwas tun, um sich von seinen Sünden zu befreien. Nun, dann war es ihre Christenpflicht, ihm dabei zu helfen. Sie begann von Judas Thaddäus zu erzählen â dem Schutzheiligen für ausweglose Situationen, der besonders häufig auf Votivtafeln zu finden war.
Der GroÃvater lächelte zum ersten Mal. »Und was gibt es noch in der Kirche zu sehen?«
Simone beschrieb das Taufbecken aus gemeiÃeltem Granit, die hölzerne Vertafelung der Orgel â¦
Bald war sie so in ihre Schilderungen vertieft, dass sie zunächst gar nicht merkte, wie das Lächeln des GroÃvaters erlosch und sich seine Miene immer weiter verdüsterte. SchlieÃlich hielt sie inne.
»Was ist? Du hast doch hören wollen, wie es im Haus Gottes aussieht! Unsere Kirche ist nun einmal reich ausgestattet â¦Â«
»Ja schon, aber es muss doch auch etwas geben, was ihr noch nicht habt!« Er knallte seine Pfeife so heftig auf den Tisch, dass kleine Tabakflusen herausstoben. »Irgendeine besondere Heiligenfigur, die sich der Pfarrer wünscht. Oder ein gröÃeres Kreuz ⦠Mädchen, wenn jemand so etwas wissen kann, dann du!«
Obwohl seine Heftigkeit Simone einschüchterte, fühlte siesich doch ein wenig geschmeichelt, dass er sie zu Rate zog. Aber unter dem lauernden Blick des alten Mannes fiel es ihr schwer, sich zu konzentrieren.
»Vielleicht gibt es tatsächlich etwas â¦Â« Sie biss sich auf die Unterlippe und versuchte, die Erinnerung an Fronleichnam in sich wachzurufen. Oder besser gesagt, an den Tag davor â¦
Wie jedes Jahr hatten die Frauen auf dem Dorfplatz einen prächtigen Teppich aus Blüten ausgelegt, auch Simone hatte dabei geholfen. Aus gelbem Ginster hatte sie Rauten um das Kreuz herum gelegt, das als Mittelpunkt das Kunstwerk zierte. Am Abend war dann der Herr Pfarrer gekommen und hatte ihre Arbeit begutachtet. Und dabei hatte er eine Bemerkung gemacht â¦
Sie biss ein Stückchen Nagelhaut von ihrem Daumen ab, kaute hingebungsvoll und sagte dann:
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