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Antonias Wille

Antonias Wille

Titel: Antonias Wille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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Fenster und die hintere Tür zum Garten verschlossen. Und statt nach diesem Rundgang gleich zu Bett zu gehen, hatten sie sich meist noch mit einem Glas Kirschwasser in die Küche gesetzt und den Tag Revue passieren lassen.
    Für Simone war diese letzte Stunde des Tages – die oftmalsschon die erste des folgenden war – stets die schönste gewesen. Dann hatte sie Rosanna ganz für sich allein gehabt. Morgens beim Frühstück war Rosannas Kopf schon wieder voll mit lauter Dingen, die es an dem Tag zu erledigen gab. Wenn Simone ihr dann etwas erzählen wollte, war sie oft unwirsch. Und ungeduldig. Spät abends dagegen … Da gab es keinen Gast, keine Maria, keine Sieglinde, die ihre Zweisamkeit gestört hätten. Da konnte sie Rosanna auch einmal in den Arm nehmen, so wie früher.
    Wütend und traurig zugleich starrte Simone auf ihr halb leeres Wasserglas, das ihr plötzlich wie ein Sinnbild der gesamten elenden Situation vorkam.
    Kein Kirschwasser mehr. Nicht für sie.
    Kein gemeinsames Tuscheln über die Gäste, kein vereintes Kichern über irgendeinen albernen Vorfall während des Tages, kein Zuprosten. Kein »Gute Nacht« vor ihren Schlafzimmertüren.
    Denn Rosanna schlief nicht mehr im Zimmer nebenan. Klammheimlich hatte sie sich aus dem Staub gemacht. Erst hatten nur ein paar Schuhe in ihrem Zimmer gefehlt und ein paar Kleider. Dann immer mehr. Inzwischen war ihr Kleiderschrank fast leer – Simone fielen vor Schreck beinahe die Augen aus dem Kopf, als sie das feststellte. Dafür platzte der alte Schrank in Karls ehemaliger Kammer schier aus den Nähten. Dort, wo sich schon Fahrners Malzeug, seine Entwürfe, Hosen und Jacken türmten – dorthin, ans Ende des Ganges, hatte Rosanna ihre Sachen gebracht.
    Simone hatte sie keinen Ton davon erzählt.
    Simone warf einen glasigen Blick in Richtung Tür. Oben, in Karls alter Kammer, wartete Rosanna gerade auf ihren Liebhaber.
    Liebhaber  – allein das Wort ließ Simone die Galle hochkommen. Niemand konnte ihren Engel so lieb haben wie sie! Aber Rosanna war zu verblendet, um das zu erkennen. Da säuselte ihr einer ein paar schöne Worte ins Ohr, und schon war es um sie geschehen.
    Oh, Simone wusste sehr wohl, was hinter der verschlossenen Tür vor sich ging. Sie hatte ihre alte Fähigkeit aus Kindertagen, sich unsichtbar zu machen, Dinge zu hören, die nicht für sie bestimmt waren, nicht verloren. Rosannas kehliges Lachen, ihre wohligen Seufzer, dazu Helmuts erregtes Stöhnen – manchmal war dies alles zu viel für sie. Dann entfernte sie sich rasch von den Wänden, die ihr so viel Schreckliches zuflüsterten.
    Liebe macht blind, hieß es. Simone stieß ein verächtliches Prusten aus. Vielleicht machte Liebe auch blind, auf alle Fälle aber machte Liebe vergesslich! Alles hatte Rosanna vergessen. Alle Pein, die Zacharias ihr zugefügt hatte. Seine Feigheit, seine Verlogenheit. Oder der Großvater mit seiner erpresserischen Art und Weise, mit der er Rosanna auf den Hof gelockt und später zu seiner Ehefrau gemacht hatte. Aber sie, Simone, hatte nichts vergessen.
    Als die Tür aufging, schrak Simone zusammen.
    Â»Ach, du bist es. Du Arme, todmüde siehst du aus! Warum lässt du nicht einmal jemand anderen den letzten Rundgang machen? Ein bisschen mehr Schlaf würde dir gut tun.« Helmut lächelte Simone aufmunternd zu. »Hab ich einen Durst!« Er deutete auf den Wasserkrug auf der Anrichte. »Möchtest du auch etwas?« Als Simone verneinte, nahm er einen großen Schluck Wasser direkt aus dem Krug, dann schnappte er sich den Teller mit Keksen, den Maria ihm hingestellt hatte.
    Die Selbstverständlichkeit, mit der er sich hier bewegte, schnürte Simones Kehle zu. Wie der »Herr im Haus« …
    Noch im Hinausgehen schob sich Helmut den ersten Keks in den Mund.
    Doch dann hielt er im Türrahmen inne.
    Â»Eigentlich können die anderen auch ohne mich weiterspielen. Einer mogelt sowieso schlimmer als der andere! Ich hab nämlich etwas Wichtiges mit dir zu bereden, und da kann ich es dir auch gleich hier und jetzt sagen …«
    Er kam zurück in den Raum und ließ sich verschwörerisch lächelnd auf dem Stuhl gegenüber von Simone nieder. Dannhielt er ihr den Keksteller hin, doch Simone schüttelte den Kopf. Am liebsten wäre sie aufgestanden und hinausgerannt. Sie ertrug seine

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