Antonias Wille
Bäume nicht mehr gesehen, sonst wäre sie in den letzten Tagen schon einmal auf diese Ungeheuerlichkeit aufmerksam geworden.
»Der gute Herr Fahrner und Simone müssen kurz nach Rosannas Tod geheiratet haben! Das kapier ich nicht!«
Einen Moment lang herrschte an beiden Enden der Leitung Schweigen.
»âºIch würde nicht mehr in der Zeit leben wollen, als es dich noch nicht gabâ¹, hat Helmut zu Rosanna gesagt. Zumindest steht es hier so.« Julie begann, im Raum umherzulaufen. Wo hatte sie denn nur das verdammte Feuerzeug hingelegt? »Er und Rosanna â das war doch die ganz groÃe Liebe! Und dann heiratet er ausgerechnet Simone, die ihr ganzes Leben lang Männer hasste?«
Dem Geräusch nach zu urteilen, zündete sich Theo eine ihrer unvermeidlichen Zigaretten an.
»Das hört sich wirklich alles seltsam an ⦠Helmut Fahrner war doch Antonias Vater. Oder gibt es irgendwo in dieser verzwickten Geschichte ein Detail, das du bisher übersehen hast?«
Julie verneinte. An dieser Tatsache war nicht zu rütteln. Nachdem sie das Feuerzeug auf dem Kamin entdeckt und zwei Kerzen angezündet hatte, setzte sie sich wieder an den Schreibtisch.
»Zwei Frauen und ein Mann«, murmelte Theo. »Da ist Ãrger vorprogrammiert. Simone muss doch vor Eifersucht und Hass grün angelaufen sein! Von wegen âºgeliebter Engelâ¹ und so! Oder hatte sie womöglich von Anfang an selbst ein Auge auf den Schildermaler geworfen? Wenn ja, dann hat die gute Rosanna nichts davon mitbekommen. Aber welche normale Frau ist schon in der Lage, mit Schmetterlingen im Bauch klar zu denken?«
Julie stimmte ihr zu. »Natürlich habe ich von Anfang angewusst, dass Rosannas Tagebücher mir nur ihre persönliche Sicht vermitteln. Das ist ja die Schwachstelle im ganzen Projekt! Andererseits bin ich Rosanna dabei so nah wie irgend möglich gekommen. Nur â was nutzt mir das? Es gibt nichts daran zu rütteln, dass sie am 26. Oktober 1919 gestorben ist, das steht so in der Todesanzeige, und gleichzeitig hat die Kreiszeitung einen Nachruf über sie gedruckt, in dem dieses Datum auch noch einmal erwähnt wurde. Warum aber ist sie ausgerechnet an dem Tag gestorben? Ich versteh das einfach nicht!« Fahrig strich sich Julie eine Strähne ihres ungewaschenen Haars aus der Stirn. Verflixt, sie musste eine Antwort auf diese Frage finden.
»Und dein restliches Recherchematerial?«
»Das kannst du vergessen!«, seufzte Julie resigniert. In jenem Nachruf wurde Rosannas Tod als »mysteriös« bezeichnet, aber es stand nichts darüber geschrieben, woran oder warum Rosanna gestorben war. Vielmehr war die Rede von einer »schicksalhaften, tödlichen Heimsuchung«.
»Heimsuchung! Als ob Rosanna für etwas bestraft worden wäre!«, schnaubte Theo. »Herzversagen, plötzlicher Hirntod, eine nicht auskurierte Lungenentzündung â das waren damals die gängigen Todesursachen, nicht aber eine schicksalhafte Heimsuchung.«
Sie zog an ihrer Zigarette, und Julie konnte förmlich hören, wie Theo nachdachte.
»Helmut Fahrner war doch der Bruder deines Opas. Vielleicht kommst du so weiter? Frag mal deinen Vater, ob der etwas über das seltsame Liebesleben seines Onkels weiÃ!«
»Mein Vater war zu dieser Zeit noch gar nicht auf der Welt«, antwortete Julie mutlos.
»Mensch, Julie, so kurz vor dem Ziel kannst du nicht einfach aufgeben! Und dabei geht es mir nicht um unser zukünftiges Arthotel, das war bisher nicht mehr als ein schöner Traum. Ich hätte kein Problem damit, wenn es dabei bliebe, obwohl â¦Â«
Einen Moment lang hingen die beiden Frauen ihren Gedanken nach, bis sich Theo räusperte.
»Ich kenne dich. Du kannst jetzt nicht einfach sagen: âºIn Ordnung, Rosanna ist damals gestorben, und kein Hahn kräht mehr nach dem Wie und Warum.â¹ Das ist nicht deine Art. So, wie du von Rosanna erzählst, könnte man meinen, sie sei eine gute Freundin von dir. Und in dem Fall ist es deine Pflicht herauszufinden, was damals los war. Vergiss Halloween, vergiss die Party â irgendwie krieg ich das schon allein hin, und wenn ich zur Not die Hälfte der Gäste einfach wieder auslade. Aber du musst jetzt am Ball bleiben!«
Nachdem sie sich von Theo verabschiedet hatte, ging Julie im Haus umher, machte überall Licht und kochte sich eine Kanne Früchtetee, der ihr
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