Antonias Wille
Rosanna grenzte das Ganze an eine Art Wunder, das sie allerdings sehr genoss: Statt mühsam mit Streichhölzern die Petroleumleuchten anzuzünden, konnte sie mit einem Griff zum Schalter Licht machen. Die Helligkeit brachte jedoch auch gewisse Nachteile mit sich: In den erleuchteten Räumen war die »Faulenzerwolle« in jeder Ecke sichtbar und Rosanna folglich ständig mit Staubwischen beschäftigt.
Auf ihre Bitte hin hatte Karl Moritz auÃerdem das alte Backhaus des Hofes wieder instand gesetzt. Seiner Ansicht nach lohnte es sich zwar nicht, für zwei Personen den Ofen anzuwerfen und Brot zu backen, doch Rosanna wollte lieber die Arbeit auf sich nehmen, als ins Dorf zu gehen und gemeinsam mit den anderen Hausfrauen, die über keinen eigenen Brotbackofen verfügten, im Rombacher Backhaus zu backen. Sie wusste, dass es feige war, den Dorfbewohnern aus dem Weg zu gehen, aber die Vorstellung, dass alle auf ihren dicker werdenden Bauch starrten, schreckte sie ab. Es blieb die Frage, wie sie an Mehl kommen konnte. Sollte sie zu Katharina in die Mühle gehen? Auch davor grauste ihr. Karl Moritz versprach daher, sich darum zu kümmern. Tatsächlich standen ein paar Tage später drei Säcke mit verschieden grobem Mehl unter dem Dachvorsprung des Backhauses und auÃerdem ein Becher mit Sauerteig. Karl verlor kein Wort darüber, wie die Sachen auf den Hof gelangt waren. So konnte Rosanna nur annehmen, dass sie aus der gleichen Quelle stammten, aus der Moritz regelmäÃig frischen Schinken, Butter, Heidelbeermarmelade, Zucker, Salz und andere Lebensmittel schöpfte. Ein Tauschhandel? Mit wem und gegen was? Mehr als ein Mal hatte sie aus dem Spicher, der kleineren Scheune hinter dem Haus, ein nächtliches Rumoren vernommen, dazu das Geflüster von Männern, die angestrengt versuchten, leise zu sein, und dadurch erst recht gehört wurden. Andere Schwarzbrenner? Dagegen sprach jedoch der Geruchnach Ziegen oder Schafen, der an manchem Morgen in der Luft hing. Also eher Viehdiebe?
Im »Fuchsen« war es immer mal wieder vorgekommen, dass ein Rombacher seine Wut über das Verschwinden einer halben oder ganzen Herde Vieh von den Hochweiden im Alkohol ertränkt hatte. Nie waren die Viecher wieder aufgetaucht, und auch der Dieb wurde nie geschnappt. So mancher Herder, wie die bezahlten Hirtenbuben im Dorf genannt wurden, verlor wegen eines solchen Vorfalles sein Ansehen und musste fortan auf sein Einkommen verzichten. Gewährte Moritz womöglich Viehdieben Quartier? Angesichts der Nähe zur Schweiz war das durchaus denkbar. Oder trafen sich hier oben Schmuggler? Die Spuren von Wagenrädern, die morgens hin und wieder den Boden zerfurchten, deuteten ebenfalls darauf hin. Irgendetwas ging dort oben vor, und Moritz setzte alles daran, dass Rosanna nichts davon mitbekam â natürlich vergeblich, denn sie hatte nicht nur Augen, sondern auch Ohren, und das leise Stimmengemurmel in manchen Nächten entging ihr keineswegs.
Viehdiebe, Schmuggler â obwohl ihr bei keiner dieser Vorstellungen wohl war, fragte sie nicht weiter nach. Wenn Moritz ihr nichts von seinen nächtlichen Besuchern erzählen wollte, war das seine Sache.
Stattdessen genoss sie ihre neue Freiheit, die das Leben auf dem Berg mit sich brachte. Nachdem Karl ihr angeboten hatte, eines der Zimmer als zukünftiges Kinderzimmer einzurichten, verbrachte Rosanna die ersten Wochen damit, neue Vorhänge, Bettwäsche und Kinderkleidung zu nähen. Die Nähmaschine konnte sie inzwischen bedienen. Auch für ihre eigene Kammer, die neben dem zukünftigen Kinderzimmer lag und durch eine Tür mit diesem verbunden war, nähte sie Vorhänge und auÃerdem eine Decke, die sie nachts über das Federbett warf. Da sie sich mitten in den Raunächten, also in den Tagen zwischen Weihnachten und den Heiligen Drei Königen, befanden, in denen es sowieso Brauch war, Ordnung im Haus zu schaffen, widmete sich Rosanna auch gleich den anderen Schlafzimmern imersten Stock. Sie lüftete, fegte und wischte Staub, rieb Schränke mit duftendem Bienenwachs ein und wienerte den Boden mit einer übel riechenden Politur, die dafür jedoch den stumpfen Brettern zu neuem Glanz verhalf.
Ihre Schwangerschaft behinderte sie dabei überhaupt nicht. Da sie gar keine Zeit haben wollte, über Zacharias nachzudenken, suchte sie nach immer neuen Aufgaben.
Karl lieà sie gewähren, nur wenn ihr
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