Antonias Wille
schräg anschaute, aber nichts erwiderte.
Einen Tag nach den Heiligen Drei Königen klopfte es gegen Mittag an der Tür. Zuerst so leise, dass Rosanna, die gerade dabei war zu kochen, glaubte, sich verhört zu haben. Doch dann sah sie einen bekannten Schatten am Fenster vorbeihuschen. Sofort lieà sie das Messer, mit dem sie rote Rüben schälte, fallen und rannte hinaus.
»Simone! Was machst denn du hier?« Atemlos umarmte sie das junge Mädchen.
»Mutter sagt, ich soll mal nach den liederlichen Verhältnissen hier oben gucken!« Simone lächelte verlegen und drückte Rosanna fest an sich. Dann linste sie ins Haus. »Wo ist er denn?«
»Dein GroÃvater?« Nur mit Mühe gelang es Rosanna, sich aus der erdrückenden Umarmung zu befreien. »In der Scheune. Ich kannâs zwar selbst noch nicht glauben, aber es ist mir gelungen, ihn dazu zu bringen, dass er seine Grenzsteine zukünftig nicht mehr am Küchentisch meiÃelt.« Sie kicherte. »Ach, ich freue mich so, dass du da bist! Los, komm ins Haus!« Ihr wurde plötzlich bewusst, dass sie Simone vermisst hatte.
In der Küche angekommen, setzte Rosanna Wasser für Kaffee auf und stellte Brot, Butter und Honig auf den Tisch.
»Man sieht ja noch gar nichts«, sagte Simone und deutete mit einer Kopfbewegung auf Rosannas Bauch. Sie hatte ihre Jackenoch immer nicht abgelegt, als wolle sie flüchten, sobald ihr GroÃvater die Küche betrat.
»Du müsstest mich mal ohne Rock sehen, dann würdest du das nicht mehr behaupten. Da, fühl mal, wie dick ich schon bin!«
Rosanna griff nach den knochigen Händen der Freundin und legte sie auf ihren Bauch. Sie rügte sich für das aufsteigende Gefühl von Ekel, das sie überkam, als sie Simones Fingernägel sah â alle bis aufs Fleisch abgebissen. Daumen und Zeigefinger der rechten Hand waren blutig und entzündet. Mit wehem Herzen strich sie Simone ein paar krause Haare aus der Stirn.
Statt sich über Rosannas gewölbten Leib zu äuÃern, schluchzte Simone auf. »Du fehlst mir so! Ohne dich ist es so schrecklich, dass ich gar nicht mehr leben will! Die anderen sind gemein, und ich ⦠ich habe niemanden, der â¦Â«
Simone wurde von einem solchen Weinkrampf geschüttelt, dass sie nicht weitersprechen konnte. Ihre Finger gruben sich fest in das Fleisch von Rosannas Unterarmen. Aus verquollenen Augen starrte sie Rosanna an.
»Am liebsten würde ich auch verschwinden, auf Nimmerwiedersehen! Ach, Rosanna, können wir nicht zusammen weggehen? In die Schweiz?«
Eine Wut, die stärker war als jedes Mitgefühl, erfüllte Rosannas Herz. Sie konnte sich nur allzu gut vorstellen, wie Franziska ihren Ãrger an Simone auslieÃ! Und die anderen waren vermutlich nicht besser. Simone, das hässliche Kind mit dem krummen Rücken, den roten Pusteln im Gesicht und dem schiefen Mund, gab schlieÃlich ein geeignetes Opfer ab.
»Du weiÃt doch, dass das nicht geht«, murmelte sie und zeigte auf ihren Bauch.
»Und der, der dir den Braten ins Rohr getan hat, steht gemütlich hinterm Tresen und spielt den Wirt. Ich hasse ihn. Ich hasse sie alle!«, spie Simone unvermittelt aus, dann heulte sie erneut los.
Stumm wiegte Rosanna das Mädchen im Arm, während ihrbewusst wurde, dass die Ungerechtigkeiten der Breuers ihr nichts mehr anhaben konnten. Eine Welle der Dankbarkeit gegenüber Karl Moritz überflutete sie, weil sie nicht mehr mit den Menschen im Dorf umgehen musste. Doch natürlich konnte sie das der Freundin nicht sagen.
Während Simone mühsam ihre Fassung wiedererlangte, schmierte Rosanna ihr ein Honigbrot.
»Nun iss, du bist so mager wie ein Spatz nach dem Winter!« Sie stand auf, um den Kaffee aufzubrühen. Als sie kurz darauf jeder Tasse einen kleinen Schuss Milch hinzufügte, dachte sie wieder einmal mit Bedauern an die gute Elsa mit ihren braunen Augen und der fetten Milch. Karls einzige Kuh war uralt und gab nur noch sehr wenig Milch. Bisher war Rosanna bei Karl mit ihrem Wunsch nach einer zweiten Milchkuh oder wenigstens ein, zwei Ziegen auf taube Ohren gestoÃen. Bis auf seine Bienen und die alte Kuh hatte er alle anderen Tiere nach dem Tod seiner Frau abgegeben, und das sollte auch so bleiben.
Seufzend setzte sich Rosanna ihrem Gast gegenüber an den Tisch. »Und jetzt erzähl! Was tut sich denn bei euch?«
Kauend zuckte Simone
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