Antonio im Wunderland
Sorgen.
«Benno!», ich stubse ihn an. «Hee, Benno.»
Er sieht mich streng an. «Isch guck der Film», sagt er
laut und tadelnd.
«Is schon gut», sage ich. Wenig später kommt die
Top-Pointe des Films. Das ganze Flugzeug lacht, Anto-
nio schmeißt sogar seine Sirene an. Nur Benno schweigt
stoisch. Das lässt mir keine Ruhe. Ich stehe auf und
drehe mich zu ihm.
«Was ist los mit dir, Benno?», frage ich ihn.
Er nimmt seinen Kopfhörer ab.
«Wat is denn nu schon widder los? Isch bin der Film
am Gucken.»
«Ja, schon klar, findest du ihn denn nicht komisch?»
«Nee, wat soll denn daran komisch sin?», sagt er und
hält mir seinen Kopfhörer hin.
Ich setze ihn auf und bin mitten in Audio-Programm
13, Yoga und Meditation. Eine Stimme sagt zu esoteri-
schem Gedudel: «Sie werden eins mit sich und der Welt.
Wenn Sie jetzt einschlafen, dann ist das auch okay.»
Ich stelle ihm den richtigen Kanal ein und bereue
diese milde Tat bald, weil Benno zwar immer noch
nicht lacht, aber bei jedem Witz ruft: «Du krisst die Tür
nit zu.» Dabei tritt er gegen meinen Sitz. Zum Glück
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schläft er bald ein und verpasst das Abendessen, wel-
ches Fragen aufwirft: Wer denkt sich diese Bordver-
pflegung aus? Woraus sind die Brötchen? Ist das die
Zukunft der Ernährung? Werden wir bald alle vom
schönen Klang der Namen der Gerichte (gebeizte
Flusskrebsschwänze auf Wildreis an Erbsschaum) satt
statt von der Matsche, die sich dahinter verbirgt?
Wir fliegen über den Nordpol, ich höre Toni und
Benno leise schwatzen. Dann kommt die Stewardess
mit bunten Kärtchen, die wir ausfüllen sollen. Man be-
nötigt sie zur Einreise in die USA. Dieses Land will alles ganz genau wissen. Eigentlich signalisieren diese Karten, dass die Vereinigten Staaten von Amerika nicht
scharf auf Besuch sind. Für ein Land, das einmal von
Besuchern gegründet wurde, sind die ganz schön
streng mit uns. Aber das ist wohl der Stil der Zeit.
Auf meiner Uhr ist es spätabends, als wir auf dem
Flughafen JFK landen. Hier in New York ist es Nach-
mittag. Und es sieht nicht gerade warm aus. Überall
Lichter! Der erste Eindruck von Amerika ist der eines
Kindes, das überall im Haus die Lampen anmacht, da-
mit es sich nicht fürchtet.
Wir steigen aus. Antonio hat die umliegenden Sitz-
reihen noch mit einem Striptease erfreut, weil er doch
lieber die lange Hose tragen will. Die Thrombose-
strümpfe behält er erst einmal an. Ist ja schließlich
schweinekalt hier. Wir entsteigen dem Flugzeug und
gehen über einen final verschmutzten Teppich einen
Gang entlang. Alles wirkt so abgenutzt und wie von
einem dünnen öligen Firnis überzogen. Es riecht auch
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so. Wir strömen mit der Herde von Einreisewilligen in
einen riesigen Saal, an dessen Ende braune Schalter
auf uns warten. Wir stellen uns in mäandernde Kordel-
reihen und rücken wie Spielfiguren von Zeit zu Zeit ei-
nen Schritt nach vorn. Viel später weiß ich: Hier in
Amerika steht man immer in Kordelreihen und fädelt
sich in Engpässe ein. Das ganze Land ist eine riesige
Strickliesl.
Als wir an der Reihe sind, werden wir getrennt. Ich
gehe als Erster an den Schalter, Antonio nach mir, aber
weit entfernt, und Benno schließlich nach links, drei
Schalter weiter. Die Einreise in die USA ähnelt der in
die DDR zum Transit nach Westberlin. Allerdings wur-
den mir dort nie Fingerabdrücke genommen, und ich
wurde auch nie fotografiert. Nur blöd befragt.
Hier ist das anders. Vor mir sitzt eine uniformierte
Dame afroamerikanischer Herkunft. Sie heißt Petrus,
so steht es auf ihrem Namensschild. Ihre Frisur sieht
wie ein Ananasbüschel aus, und ihre Nägel sind sehr
lang und sehr rosa.
«Warum reisen Sie in die USA ein?» 1
«Ich bin Tourist.»
«Was wollen Sie sich ansehen?»
Eigentlich geht das Miss Petrus nichts an, aber ich
will meine Chancen bei ihr nicht verschlechtern. Also
1 Das fragt sie natürlich auf Englisch. Ab hier gilt: Wenn Amerikaner vorkommen, wird englisch gesprochen. Versteht sich eigentlich von selbst, ist ja immer so, wenn irgendwo Amerikaner vorkommen.
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antworte ich schnell: «Vielleicht das MoMA.» 1 Da will ich wirklich gern hin.
«Was ist das MoMA?»
«Ein Museum.»
«Nie gehört. Sehen Sie mich an. Nicht bewegen.»
Sie zieht eine kleine Kamera, die an einem gelenki-
gen Stativ befestigt ist, zu sich herunter und fotogra-
fiert mein Gesicht. Dann muss ich meine Fingerkup-
pen in einen Scanner legen. Ich werde
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