Antonio im Wunderland
gewissermaßen
erkennungsdienstlich behandelt. Dabei will ich hier
nichts stehlen. Wenn Miss Petrus mich lässt, will ich
sogar Geld hier ausgeben. Ich lächle sie an.
«War’s das?»
«Wo wohnen Sie in New York?»
Ich nenne ihr das Hotel, sie pfeffert missgelaunt ei-
nen Stempel in meinen Pass, «US Immigrant» steht auf
dem Stempelabdruck. Dann gibt sie mir meinen Pass
zurück. Ich verabschiede mich, aber Miss Petrus hat
sich schon abgewandt und mit einer gelangweilten
Geste den nächsten Immigranten zu sich herange-
winkt. Ich sehe mich nach Toni Casinista und Benno
um, aber ich kann keinen von beiden finden. Die wer-
den doch nicht schon zum Gepäckband gelaufen sein.
Da höre ich meinen Namen. Das ist Toni, der da ruft.
Ich entdecke ihn ganz am Ende der Halle. Er wird von
zwei Polizisten festgehalten, die ihn offenbar da-
vonschleppen. Um Himmels willen. Und da ist auch
Benno, ebenso in Polizeigewahrsam. Die beiden wer-
1 Museum of Modern Art
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den verhaftet. Ich werde wahnsinnig, kann man diese
Vögel denn nicht zwei Minuten alleine lassen? Was
kann daran so schwer sein, sich fotografieren zu las-
sen und ein paar Fingerchen einzuscannen? Ich verflu-
che den Tag, an dem ich «ja» zu dieser Reise gesagt
habe, und laufe zu Miss Petrus. Sie fotografiert gerade
eine Teenagerin, die das cool zu finden scheint. Junge
Menschen kennen den Begriff Big Brother nur aus an-
deren Zusammenhängen.
«Ich muss nochmal zurück.»
«Gehen Sie weiter.»
«Bitte! Ich muss zu meinem Schwiegervater.»
Ich kann kaum Schwiegervater sagen, da hat sie be-
reits auf einen Knopf gedrückt und Verstärkung ange-
fordert. Ich gehe ihr auf die Nerven, und mein Schwie-
gervater ist ihr wurscht. Innerhalb von wenigen Sekun-
den stehen zwei Polizisten neben mir und fragen Miss
Petrus, ob ich Probleme machen würde.
«Der wollte wieder zurück», sagt sie.
Einer der Polizisten, der aussieht wie der Cop von
Village People 1 , wendet sich an mich.
1 Party Smalltalk: Wer kennt die Namen der Mitglieder von Village People? Sie, und zwar jetzt: Der Cop von Village People war ein Afroamerikaner namens Victor Willis. Er verließ die Band allerdings 1980 und wurde durch Ray Simpson ersetzt. Willis war Co-Autor des Hits «In the Navy». Seine Kollegen hießen: David Hodo (der Bauarbeiter), Alex Briley (der Soldat), Randy Jones (der Cow-boy), Felipe Rose (der Indianer) und Glenn Hughes (der Ledermann). Dieser wurde 1995 durch Eric Azalone ersetzt und starb 2001. Er hat überhaupt nichts mit dem Glenn Hughes zu tun, der früher bei Deep Purple Bass spielte. Das ist jemand ganz anderes.
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«Sir, ich muss Sie bitten, sich nicht weiter an diesem
Platz aufzuhalten.»
«Mein Schwiegervater ist gerade verhaftet worden,
dahinten an diesem Schalter. Ich muss zu ihm. Ich
kann ihn doch nicht alleine lassen.»
«Wie heißt Ihr Schwiegervater?»
«Marcipane, Antonio.»
«Ist Ihr Schwiegervater Iraner, Iraker, Afghane oder
Kubaner?»
«Nein! Um Himmels willen! Er ist Italiener.»
«Italiener also.» Die beiden sehen sich an, als glaub-
ten sie mir kein Wort. Für sie scheint festzustehen,
dass ich lüge und wie meine beiden armen und mit Si-
cherheit tief verschüchterten Begleiter zu irgendeinem
Terrornetzwerk gehöre. Gut, wenn man Nervensägen
zu den terroristischen Aktivitäten zählt, dann hätte
Mister Village People Recht.
«Sein Freund ist auch verhaftet worden. Er heißt Tig-
gelkamp. So einen Namen können sich getarnte isla-
mistische Fundamentalisten gar nicht ausdenken.»
«Und die beiden Männer sind mit Ihnen gereist?»
«Ja.»
«Sir, ich muss Sie bitten, uns zu begleiten. Bitte ma-
chen Sie uns dabei keine Schwierigkeiten.»
Na super, werde ich auch verhaftet. Was soll’s, auf
diese Weise verliere ich wenigstens meine Senioren
nicht und kann womöglich verhindern, dass sie nach
Guantanamo Bay gebracht werden. Ich gehe, eskortiert
von den zwei Polizeibeamten, durch den Saal, am Ende
durch eine Tür und dann einen langen Gang entlang,
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dessen Wände mit demselben Teppich ausgekleidet
sind wie der Fußboden. Ich bin sehr gespannt, aber ich
habe keine Angst, dafür sind die Männer zu kultiviert.
Sie öffnen eine Tür, und ich sehe meine beiden
Schutzbefohlenen, die jämmerlich auf zu kleinen Stüh-
len an einer Wand sitzen. Sie werden von einem Poli-
zisten befragt, aber die Unterhaltung erstirbt, als wir
hinzukommen. Ich winke den beiden zu. Benno
scheint die
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