Anubis 02 - Horus
ihr auch gelungen …
… hätte nicht jemand plötzlich das Licht ausgeschaltet.
Es dauerte kaum eine Sekunde, und es kam ihr tatsächlich ganz genau so vor: Von einem Lidzucken auf das nächste wurde ihr schwarz vor Augen, und ihre Beine waren mit einem Mal nicht mehr imstande, das Gewicht ihres Körpers zu tragen. Sie stolperte, streckte instinktiv die Hand nach dem Geländer aus und griff daneben. Ihr Fuß verfehlte die nächste Stufe, und sie schlug so schmerzhaft mit dem Knie auf die Kante, dass ein Gewitter grellroter Blitze die Schwärze vor ihren Augen zerriss.
Als sie verblassten, war auch der Schwächeanfall vorüber. Sie fiel, fing ihren Sturz aber im letzten Moment mit ausgestreckten Händen ab und verwandelte ihn eher in ein ungeschicktes Stolpern.
Trotzdem fuhr Maistowe über ihr herum und hetzte so hastig zu ihr zurück, dass er nun seinerseits um ein Haar das Gleichgewicht verloren hätte und sich im buchstäblich allerletzten Moment an dem wackeligen Geländer festhielt, um nicht kopfüber die Treppe herunterzustürzen.
»Miss Bast, um Himmels willen!«, stieß er dennoch hervor. »Was haben Sie?«
»Nichts!« Bast fegte seine hilfreich ausgestreckte Hand mit einer zornigen Bewegung beiseite und stemmte sich aus eigener Kraft hoch. Ihr linkes Knie pochte. Alles drehte sich um sie.
Dann schnappte die Wirklichkeit mit einem fast hörbaren Ruck an ihren angestammten Platz zurück, und sie bedauerte ihre eigene Reaktion zutiefst.
»Sie hatten recht, Kapitän«, sagte sie mit einem verunglückten Lächeln, während sie sich umständlich aufrappelte und mit einer linkischen Geste ihren Mantel glatt strich. »Das ist wirklich kein Ort für eine Frau. Vor allem nicht für eine, die nicht weiß, wohin sie ihre Füße setzen soll.«
Die Worte waren ebenso unbeholfen, wie sie sich hilflos und erschrocken fühlte, und Maistowe sah sie auch nur weiter verstört an. »Ist … wirklich alles in Ordnung?«
»Wirklich«, versicherte sie. Was für ein Unsinn! Nichts war in Ordnung. Sie zuckte mit den Schultern. »Vielleicht war doch alles ein wenig viel für mich. Aber es ist alles in Ordnung, wirklich.«
»Soll ich Sie zurück in die Pension bringen?«, fragte Maistowe. »Ich kann sicher einen Wagen finden.«
»Das ist eine gute Idee«, antwortete Bast. Sie deutete die Treppe hinauf. »Sobald wir hier fertig sind.«
Maistowe starrte sie mit offenem Mund an, und Bast ging mit schnellen Schritten an ihm vorbei und steuerte das obere Ende der Treppe an. Ihr Knie pochte noch immer so heftig, dass sie fast all ihre Kraft brauchte, um nicht zu humpeln, und der Schmerz trieb ihr die Tränen in die Augen. Nichts davon hätte passieren dürfen, nicht ihr, aber sie wusste zugleich auch nur zu gut, was all diese Symptome bedeuteten. Ihre Zeit lief ab. Sehr viel schneller, als sie befürchtet hatte.
Ein massiger Schatten trat ihr entgegen, als sie den Absatz am oberen Ende der Treppe erreichte, und stockte dann, und sie konnte seine Überraschung spüren, noch bevor sie den dazugehörigen Ausdruck auf seinem Gesicht sah.
»Hallo, Ben«, sagte sie. »Schön, Sie wiederzusehen. Wie geht es Ihnen?«
Der stoppelhaarige Riese starrte sie nur überrascht an, und Bast ging einfach an ihm vorbei und streckte die Hand nach der Türklinke aus, hielt aber dann mitten in der Bewegung inne und drehte sich herum, um auf Maistowe zu warten. Etwas regte sich in ihr; ein düsteres Wühlen und Verlangen, das sie immer schwerer unterdrücken konnte.
Maistowe hatte seine Verwirrung endlich überwunden und schloss nun mit schon fast übertrieben hastigen Schritten zu ihr auf. Der Türsteher maß auch ihn nur mit einem hilflosen Blick und rührte sich vorsichtshalber gar nicht, und Bast machte einen demonstrativen Schritt zurück und wies auf die Tür. Maistowe sah irgendwie unglücklich aus, griff aber gehorsam nach der Klinke und trat vor ihr ein.
Flackerndes rotes Licht und ein wahres Crescendo der unterschiedlichsten Gerüche und Sinneseindrücke schlugen ihr entgegen, und erneut wurde ihr schwindelig. Alles drehte sich um sie, und sie konnte spüren, wie der Boden unter ihren Füßen schwankte. Ohne dass sie etwas dagegen tun konnte, streckte sie die Hand aus und ergriff Maistowes Unterarm, um sich daran festzuhalten. Sie registrierte auch seinen überraschten Blick, aber sie war nicht imstande, irgendetwas zu erwidern. Es war alles zu viel. Hunger. Sie war so unvorstellbar hungrig.
Wie durch einen blutgetränkten Nebel
Weitere Kostenlose Bücher