Anubis 02 - Horus
das? Bist du verrückt?«
Bast ignorierte sie, riss die Tür auf und eilte hindurch. Dahinter lag ein schmaler, nur von einer einzelnen rußenden Öllampe erhellter Gang, von dessen Wänden der Putz in großen Flecken abblätterte. Ein durchdringender Gestank nach Erbrochenem und noch anderen, sehr viel unangenehmeren Dingen lag in der Luft, und auch noch etwas, das sie im ersten Moment nicht richtig benennen konnte, aber über die Maßen alarmierte.
»He!«, brüllte Maude hinter ihr. »Komm sofort zurück! Ben! Wirf sie raus!«
Bast riss wahllos die erste Tür auf, an der sie vorbeikam. Der Raum dahinter war leer und dunkel und stank noch erbärmlicher als der Gang, und plötzlich hörte sie hinter sich schwere, stampfende Schritte, als Ben Maudes Befehl gehorchte und die Verfolgung aufnahm. Bevor er auch nur den Gang erreicht hatte, war sie bei der nächsten Tür, riss sie auf und stürmte, ohne zu zögern, hindurch. Hinter ihr begann Maistowe ihren Namen zu rufen, und nun konnte sie auch Maudes langsamere, aber ungleich schwerere Schritte hören. Nichts davon war wichtig. Etwas in ihr … kreischte vor Zorn, und als sie mit einem gewaltigen Satz durch die Tür stürmte, gesellte sich noch ein zweiter, tausendmal gierigerer Schrei hinzu.
Dieses Zimmer war nicht leer. Ein halbes Dutzend Kerzen sorgten für flackernde gelbe Beleuchtung, und die gesamte Einrichtung bestand aus einem roh aus Brettern zusammengezimmerten Bett, auf dessen schmutzstarrendem Laken ein vielleicht fünfzigjähriger Mann, eine kaum halb so alte dunkelhaarige Frau und ein Knabe von allerhöchstens zwölf Jahren lagen. Alle drei waren nackt. Der Junge regte sich nicht und sah aus, als wäre er bewusstlos – wenn nicht tot –, obwohl die rechte Hand des Grauhaarigen seinen schlaffen Penis mit solcher Kraft umschloss, dass es ihm entsetzliche Schmerzen bereiten musste. Seine Linke lag auf der Brust des Mädchens und knetete sie kaum weniger grob. So viel zu Maudes Behauptung, sie dulde keine Schweinereien in ihrem Haus.
Aber das war es nicht, wonach sie gesucht hatte. Der Grauhaarige hörte für einen Moment auf, an seinen beiden Bettgenossen herumzukneten, die zusammengenommen gerade einmal halb so alt waren wie er, drehte den Kopf und sah sie fragend und ein bisschen überrascht – und kein bisschen schuldbewusst – an, und Bast fuhr auf dem Absatz herum und stürmte wieder auf den Flur hinaus.
Und um ein Haar in Ben hinein, dem die zwei oder drei Sekunden ausgereicht hatten, um sie einzuholen. Jedwede Freundlichkeit war aus seinem Gesicht verschwunden, und er kam ihr plötzlich noch größer und furchteinflößender vor als ohnehin – und er war eindeutig schneller, als sie es bei einem so großen und schweren Mann für möglich gehalten hätte. Ohne viel Federlesens ergriff er sie am Oberarm und zerrte sie so grob herum, dass sie einen zischenden Schmerzlaut ausstieß.
»Das reicht jetzt, Miss«, sagte er. »Sie gehen besser, bevor ich Sie wirklich rauswerfen muss.«
Bast riss sich los und wich einen Schritt zurück; aber das gelang ihr nur, weil er es zuließ. »Ich suche nur das Mädchen«, sagte sie.
»Tut mir leid, aber das kann ich nicht zulassen«, antwortete Ben. Er sprach nicht einmal laut, und ein einziger Blick in seine Augen machte Bast auch klar, dass er ihr ganz gewiss weder wehtun wollte, noch Freude daran empfunden hätte, wie es vielen erging, die seinen Beruf ausübten. Aber sie sah auch genau so deutlich, dass er es ohne zu Zögern tun würde, wenn sie ihn dazu zwang.
Hinter ihr erscholl ein gedämpftes Klatschen, gefolgt von einem schluchzenden Wimmern, das von einem zweiten, deutlich härteren Schlag zum Verstummen gebracht wurde. Ben sah für einen winzigen Moment auf, abgelenkt, und Bast schätzte ihn als viel zu stark und gefährlich und sich selbst im Augenblick als in viel zu schlechter Verfassung ein, um sich diese Chance entgehen zu lassen. So schnell, dass er den Schlag vermutlich nicht einmal kommen sah, schmetterte sie ihm die Handkante gegen den Kehlkopf und fuhr aus der gleichen Bewegung heraus herum. Noch während der Riese würgend und nach Luft ringend in die Knie sank und beide Hände um den Hals schlug, erreichte sie die Tür, hinter der sie das Wimmern gehört hatte, und sprengte sie kurzerhand mit der Schulter auf. Sie flog mit solcher Wucht gegen die Wand, dass sie in Stücke brach.
Das Zimmer ähnelte dem, in dem sie gerade gewesen war, wie eine genaue Kopie: flackerndes Kerzenlicht
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