Anubis 02 - Horus
Vorderseite war eine gläserne Linse in einem Messingring angebracht, und in der rechten Hand hielt er einen Stab mit einem T-Stück aus Eisen an seinem oberen Ende, von dem beißender Rauch aufstieg.
»Photograph?«, wiederholte sie fragend.
»Eigentlich arbeiten sie für die Zeitung«, bestätigte Maistowe, »aber Abberline hat eine private Vereinbarung mit einigen von ihnen. Er lässt ihnen dann und wann ein paar Informationen zukommen, und sie machen dafür Photographien von Tatorten für ihn. Er ist ein … sehr moderner Polizeibeamter. Er glaubt, dass ihm diese Bilder helfen, den Täter zu überführen.« Er lachte gutmütig. »Ich persönlich kann mir nicht vorstellen, wie eine Photographie dabei helfen sollte, einen Mord aufzuklären, aber das ändert nichts daran, dass ich Abberline für einen sehr fähigen Polizisten halte. Wenn jemand diesen Kerl erwischen kann, dann er.«
»Wie meinen Sie das?«
Bevor Maistowe antwortete, ergriff er sie mit einer freundschaftlichen Bewegung an der Schulter und zog sie mit sich, während er weiterging. »Das ist eine hässliche Geschichte«, sagte er. »Jemand tötet Frauen, hier in Whitechapel. Nicht, dass das etwas Besonderes wäre … ich muss leider sagen, dass ein Menschenleben in dieser Gegend nicht besonders viel wert ist. Aber dieser Irre …«
»Er«, sagte Bast. Maistowe warf ihr einen fragenden Blick zu, und Bast sagte: »Sie haben Abberline gerade gefragt, ob er es war.«
»Er«, bestätigte Maistowe. »Er tötet nur Dirnen. Frauen, die ihren Körper für Geld feilbieten. Und er tötet sie nicht nur auf besonders grausame Weise, sondern brüstet sich mit seinen Morden. Er schreibt Briefe an die Zeitungen, und er schreibt auch Briefe an die Polizei, um sie zu verspotten. Abberline ist nicht besonders glücklich darüber. Aber er wird ihn kriegen. Abberline ist wirklich gut.«
Sie hatten sich ein gutes Dutzend Schritte entfernt und blieben jetzt wieder stehen. Bast sah zurück und hatte für einen winzigen Moment das Gefühl, ein bekanntes Gesicht zu sehen … Aber als sie genauer hinsah, war dort nichts.
Dafür hatte sie erneut das Gefühl, die ganze Welt würde sich um sie drehen. Es verging so schnell wie beim ersten Mal.
Maistowe hatte von alledem nichts mitbekommen und plapperte fröhlich weiter. »In einem Punkt hat Abberline allerdings recht: Whitechapel ist kein guter Platz für eine Frau, und jetzt vielleicht noch weniger als sonst. Sie sollten nicht hier sein. Schon gar nicht allein und nachts.«
»Ich kann auf mich aufpassen«, versicherte Bast.
»Das weiß ich«, antwortete Maistowe hastig und mit einem fast verlegenen Lächeln. »Ich meine: Wer wüsste es besser als ich? Aber es ist möglicherweise selbst für Sie nicht ungefährlich. Die Kerle, die Sie gestern Nacht überfallen haben, sind immer noch hier. Und sie haben Freunde.«
Bast sah ihn einen Moment lang abschätzend an, aber dann musste sie fast gegen ihren Willen lächeln. »Sie meinen das ernst, nicht wahr?«
»Natürlich.« Die Frage schien Maistowe zu verwirren.
»Und warum?«
»Warum?«
»Warum tun Sie das?«, fragte sie. »Gestern Abend wären Sie fast getötet werden, und jetzt belügen Sie einen Mann, den Sie als Ihren Freund bezeichnen, um mich zu schützen. Warum tun Sie das?«
»Sie waren Passagier auf meinem Schiff«, antwortete Maistowe ernsthaft. »Und ich war es, der Sie in Mrs Walshs Pension geschickt hat.« Er hob die Schultern. »Ich fühle mich für Sie verantwortlich.«
»Und sonst interessiert Sie nichts an mir?«, fragte sie lächelnd.
Maistowe wirkte plötzlich noch verlegener und sah plötzlich überall hin, nur nicht in ihre Richtung.
»Sind Sie denn sicher, dass Sie der Richtigen helfen?«, fuhr sie spöttisch fort. »Sie wissen nichts über mich, Kapitän. Ich könnte eine der Bösen sein.«
»Sie?« Maistowe schüttelte heftig den Kopf »Niemals. Obwohl … eine Frage hätte ich schon, wenn Sie gestatten.«
»Und welche?«
»Warum sind Sie aus dem Fenster gestiegen, statt die Tür zu benutzen?«
Das konnte er gar nicht wissen, dachte Bast. Das durfte er gar nicht wissen. Er hätte tief und fest schlafen müssen und sich an rein gar nichts erinnern dürfen! »In meiner Heimat haben die Häuser keine Türen«, antwortete sie. »Wir steigen immer aus den Fenstern. Hier ist das anders, ich weiß, aber Sie wissen ja, wie schwer man alte Angewohnheiten wieder loswird.«
Maistowe sah für einen Moment so hilflos aus, dass er ihr beinahe leidtat,
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