Anubis 02 - Horus
ja schon.
»Es ist … schon in Ordnung«, sagte sie, noch immer ein wenig atemlos. Schwäche und Müdigkeit kamen jetzt schubweise, aber in abflauenden und in immer größeren Abständen aufeinanderfolgenden Wellen; eine schwarze Flut, die vergebens gegen die Küste angerannt war und nun allmählich verebbte. Aber sie würde wiederkommen, bald, und dann würde sie doppelt so stark sein. Sie kannte die Anzeichen nur zu gut.
Bast lauschte in sich hinein und versuchte abzuschätzen, wie viel Zeit ihr noch blieb, bevor sie endgültig die Kontrolle verlor und ihre dunkle Schwester erwachte. Eine Stunde, schätzte sie. Zwei, mit sehr viel Glück.
Sie schloss die Augen, atmete tief ein und drängte die letzte schwarze Woge mit aller Macht zurück, bevor sie sich wieder zu Cindy herumdrehte und sie erneut in die Arme schloss. Das Mädchen ließ es auch diesmal widerstandslos mit sich geschehen, aber das hatte nichts damit zu tun, dass sie etwa Vertrauen zu ihr gefasst oder ihre Worte auch nur wirklich gehört hätte. Ihr Blick war noch immer leer, aber unter dieser Leere und tief in ihr Inneres eingebrannt tobte ein entsetzlicher Schmerz. Bast war nicht in der Lage, ihn ihr zu nehmen, aber sie konnte ihn zumindest betäuben, selbst jetzt noch. Wenigstens das konnte sie für sie tun. Die Leere in Cindys Augen wurde noch allumfassender. Ihre Tränen versiegten, und schließlich hörte sie auch auf zu zittern und ließ es zu, dass Bast sie sanft an sich drückte und ihr beschützend die Hand auf den Kopf legte.
»Warum haben Sie das getan?«
Die Frage galt Maude, die noch immer neben dem bewusstlosen Freier kniete und sie aus aufgerissenen Augen anstarrte.
»Das Opium?«, fügte Bast hinzu. »Warum? Hat Ihnen nicht gereicht, was Sie ihr ohnehin schon angetan haben?«
»Aber … sie wollte es«, stammelte Maude. »Sie hat darum gebettelt!«
»Ja, weil sie das alles hier sonst wahrscheinlich gar nicht ertragen hätte«, murmelte Bast. Tränen der Wut wollten ihr in die Augen schießen, aber Zorn war ein Gefühl, das sie sich im Moment nicht leisten konnte. Sie drängte es zurück, ließ das Mädchen vorsichtig los und stand auf, um sich nach ihren Kleidern zu bücken. Aber sie berührte sie nicht. Es waren ordinäre, billige Fetzen, wie sie keine Frau tragen sollte, und schon gar kein Kind. Sie hätte das Gefühl gehabt, sie zu besudeln, wenn sie sie auch nur angefasst hätte.
Stattdessen hob sie den schwarzen Mantel auf, den der Freier getragen hatte, eine modische Pelerine ganz ähnlich der Inspektor Abberlines, nur sichtlich um etliches teurer, brachte das Mädchen mit einem lautlosen Befehl dazu, aufzusehen, und legte ihr den Mantel um die Schultern.
»Wie ist ihr Name?«, fragte sie.
»Cindy«, antwortete Maude.
»Ich meine ihren richtigen Namen. Wie lautet er?«
»Cindy«, beharrte Maude. »Das ist der einzige Name, den ich kenne. So hat man sie mir vorgestellt, als ich sie … als sie hergekommen ist.«
»Hergekommen?« Bast starrte sie eisig an. »Als Sie sie gekauft haben, meinen Sie.«
Darauf antwortete Maude gar nicht, aber sie wirkte plötzlich mehr verstockt als eingeschüchtert. Der Schreck ebbte allmählich ab, und nun kam die wahre Maude wieder zum Vorschein, eine Frau, die ebenso wenig Angst wie Skrupel hatte und Bast zweifellos einen gewissen Respekt abgenötigt hätte – wäre der Rest von ihr das genaue Gegenteil von dem gewesen, was er nun einmal war. So empfand sie nichts als Verachtung und Abscheu.
Maude stand auf. Die Bewegung wirkte plötzlich gar nicht mehr schwerfällig und mühsam, und der bewusstlose Mann neben ihr, dem gerade noch ihre ganze Sorge gegolten hatte, schien sie plötzlich nicht mehr zu interessieren. »Und?«, fragte sie herausfordernd. »Was geht’s dich an?«
»Ich dachte, die Sklaverei wäre in diesem Land abgeschafft«, antwortete Bast. »Und ihr nennt uns Barbaren?«
»Noch mal, was geht’s dich an?«, schnappte Maude. »Sie hat es doch gut bei mir. Sie bekommt genug zu essen, Kleider und ein Dach über dem Kopf, und …«
Bast ohrfeigte sie. Nicht einmal fest, aber hart genug, um sie zum Schweigen zu bringen und ihre Unterlippe aufplatzen zu lassen. Maude taumelte einen halben Schritt zurück und wischte sich mit dem Handrücken das Blut vom Kinn, aber alles, was in ihren Augen geschrieben stand, war blanker Hass.
Sie wandte sich an Maistowe. »Sie kommt mit. Vielleicht ist es doch gut, dass Sie mich begleitet haben, Kapitän. Bitte gehen Sie und versuchen
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