Anubis 02 - Horus
da etwas – jemand – war, der ihr die Kraft stahl.
Dieser Verdacht beleidigt mich, Schwester, erklang Isis’ Stimme hinter ihrer Stirn. So etwas würde ich niemals tun, du solltest das eigentlich wissen.
»Hör … auf damit«, murmelte Bast stockend. »Du weißt, dass ich das nicht mag.«
»Womit?« Kate runzelte die Stirn, und auch Marie-Jeanette blickte fragend von ihr zu Isis und wieder zurück.
Dann tu etwas dagegen, fuhr Isis lächelnd fort. Oder kannst du das nicht mehr?
»He, was ist hier los?«, erkundigte sich Kate misstrauisch. »Ihr beide kennt euch also doch?«
»Natürlich«, antwortete Isis, ohne dass ihre Augen Basts Blick losließen. »Aber ich nehme es ihr nicht übel, dass sie mich nicht sofort erkannt hat. Wir haben uns sehr lange nicht mehr gesehen. Wie lange war es noch genau?« Zweihundert Jahre? Oder sind es schon dreihundert? Die Zeit vergeht so schnell, dass ich mich manchmal frage, wo die Jahre geblieben sind.
Bast versuchte vergeblich, die lautlos flüsternde Stimme zwischen ihren Schläfen zum Verstummen zu bringen. Isis’ Gesicht … Nein, es veränderte sich nicht wirklich vor ihren Augen. Sie erkannte es nur plötzlich nicht mehr, als säße sie einer vollkommen Fremden gegenüber, keiner Frau, mit der sie die Jahrtausende geteilt hatte.
Bitte hör damit auf!
Ganz wie du willst. Aber du solltest dir endlich selbst eingestehen, in welch schlechtem Zustand du bist. Du brauchst …
»Ich weiß selbst, was ich brauche!«, fauchte Bast laut. Isis – die nun wieder Isis war, wenn auch vermutlich nur für sie selbst, nicht für Kate oder Marie-Jeanette oder Faye oder irgendeinen anderen hier drinnen – lächelte nur verzeihend und ließ ihren Blick endlich los, und die Schwäche rollte endgültig heran und drohte sie zu übermannen. Isis streckte rasch den Arm über den Tisch und ergriff ihre Hand, und die Dunkelheit zog sich fast erschrocken zurück, als eine Woge unsichtbarer, warmer Kraft durch ihren Körper strömte.
Siehst du, Schwester? Ich weiß es sehr wohl.
»Kann es sein, dass ihr beide uns auf den Arm nehmen wollt?«, fragte Kate. »Was soll das Theater? Ich …«
»Es ist schon gut, Kate.« Isis machte eine winzige, kaum sichtbare Bewegung mit den Fingern der freien Hand, und etwas in Kates Blick erlosch. Für die Dauer von zwei oder drei Atemzügen wirkte sie einfach nur verwirrt und hilflos, dann atmete sie hörbar ein und stand mit einem plötzlichen Ruck auf.
»Na ja, dann lasse ich euch zwei Turteltäubchen mal ein bisschen allein«, sagte sie, irgendwie schleppend. »Ihr habt euch nach so langer Zeit bestimmt eine Menge zu erzählen.«
»Was hast du vor?«, fragte Faye alarmiert. Isis zog ihre Hand zurück, und der Strom erquickender Stärke erlosch. Was blieb, war ein täuschendes Gefühl von Sicherheit, und das Wissen, dass es nur geliehene Kraft war, und dass sie einen vielleicht zu hohen Preis dafür zahlen würde.
»Na was schon?«, antwortete Kate. »Die Nacht ist noch jung, Süße. Liz war genauso meine Freundin wie deine, aber um sie zu trauern, macht keinen von uns satt, weißt du? Ich muss sehen, dass ich was Warmes in den Bauch bekomme.« Sie grinste anzüglich. »So oder so.«
Deine Freundin, spöttelte Isis lautlos. Glaubst du immer noch, dass es schade um sie ist?
»Aber du kannst doch jetzt nicht arbeiten!« Faye klang eindeutig entsetzt. »Was ist denn, wenn er noch da draußen ist?«
»Aber du hast doch selbst gesagt, dass es nicht der Ripper war«, antwortete Kate. »Außerdem kommt der Kerl ganz bestimmt nicht wieder. Nicht heute Nacht, mach dir keine Sorgen. Schließlich hast du ihn ja verjagt!« Sie setzte dazu an, sich herumzudrehen und zu gehen, hielt aber dann mitten in der Bewegung noch einmal inne und wandte sich mit einem fragenden Blick an Maire -Jeanette.
»Ihr seid verrückt«, murmelte Faye, als auch Kates blonde Freundin aufstand und sich zum Gehen wandte.
»Möglich. Aber morgen früh ganz bestimmt nicht so hungrig wie du, Süße«, antwortete Kate.
Sie ging. Bast wartete, bis Marie-Jeanette und sie außer Hörweite waren, dann wandte sie sich in vorwurfsvollem Ton an Isis. »Warum hast du sie nicht zurückgehalten?«
Warum sollte ich? Welche Rolle spielt es schon, ob sie jetzt stirbt oder in dreißig Jahren? Laut sagte sie: »Sie hat völlig recht. Heute Nacht kommt er bestimmt nicht zurück. Es wimmelt von Polizei und Neugierigen. Und solltest du moralische Bedenken haben … die findet heute Nacht auch
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