Anubis 02 - Horus
werde mich wenigstens nicht in einem Loch in der Wüste verkriechen und darauf warten, dass mir der Himmel auf den Kopf fällt«, erwiderte Isis. »Und du irrst dich. Dieses Land wird nicht untergehen. Das Empire wird fallen, wie andere Reiche zuvor. Wie Rom, Babylon und das Reich der Inkas – die, so ganz nebenbei, wir gestürzt haben –, aber die Welt wird nie wieder so werden, wie sie war. Ich suche mir meinen eigenen Platz darin.«
»Wenn du wirklich recht hast«, sagte Bast traurig, »dann ist in dieser Welt kein Platz mehr für uns.«
»Das wird sich zeigen«, antwortete Isis ruhig. »Du hast den Weg umsonst gemacht, Bastet. Geh wieder nach Hause. Und hab keine Angst vor Horus. Ich rede mit ihm. Er wird dir nichts tun.«
»Aber dir vielleicht.«
Isis lachte. »Er wird mich nicht einmal finden, wenn ich es nicht will.«
»Ich habe dich auch gefunden.«
»Weil ich es zugelassen habe«, antwortete Isis ruhig.
Ein Gefühl lähmender Resignation begann sich in Bast breitzumachen. Ihr Zusammentreffen mit Isis verlief nicht so, wie sie es sich vorgestellt hatte. Sie hatte mit Schwierigkeiten gerechnet – schließlich kannte sie Isis nun wirklich lange genug –, aber nicht mit dieser totalen Ablehnung. Was hatte Isis erlebt in den Jahren, die sie sich nicht gesehen hatten?
»Den Wandel der Zeit, Schwester«, antwortete Isis, und Bast begriff, dass sie abermals ihre Gedanken gelesen hatte.
»So wie wir alle.«
»Nicht so«, widersprach Isis. »Die Zeiten ändern sich, Bastet, sie haben sich schon geändert, und sie werden sich weiter ändern und schneller, als du es wahrhaben willst. Die Zeiten der Götter sind vorbei. Die Menschen brauchen uns nicht mehr. Vielleicht haben sie uns nie wirklich gebraucht.«
Sie stand auf. »Du wolltest mit mir reden, du hast mit mir geredet. Jetzt fahr wieder nach Hause und sag den anderen, dass ich nicht zurückkommen werde. Und versuche nicht noch einmal, mich zu finden.«
Und damit verschwand sie. Sie ging nicht etwa, sondern war von einem Blinzeln zum anderen einfach nicht mehr da, genau wie es Horus am Morgen getan hatte. Und genau wie bei ihm ärgerte sie diese billige Effekthascherei, aber bei ihr hatte es etwas … Erniedrigendes, das sie fast wütend machte. Sie fühlte sich abgefertigt wie ein dummes Kind, und in diesem Fall tat es weh.
Und es weckte ihren Trotz. Isis glaubte, sie wäre nicht in der Lage, sie gegen ihren Willen zu finden?
Nun, das würde sich zeigen.
»Wo ist sie hingegangen?«
Bast fuhr aus ihren Gedanken hoch und blinzelte Faye verständnislos an. »Wer?«
»Patsy. Deine Freundin.« Die Leere war aus ihren Augen verschwunden, aber nun sah sie gleichermaßen verwirrt wie misstrauisch aus. »Das … war sie doch, oder? Wo ist sie überhaupt so schnell hin?«
»Sicher, das war … Patsy«, antwortete Bast hastig.
Der Anteil von Misstrauen in Fayes Blick nahm noch zu. »Ist nicht ihr richtiger Name«, vermutete sie.
»Ist Faye denn deiner?«
»Nein«, gestand Faye freimütig. »Aber ich versteh immer noch nicht ganz, wohin sie so schnell verschwunden ist. Ich habe gar nichts mitgekriegt. Bin ich eingedöst, oder was?«
»Nein«, antwortete Bast. »Aber du siehst aus, als würdest du es gleich. Patsy musste weg. Sie hat wohl noch eine Verabredung … glaube ich.«
»Und dann lässt sie dich einfach hier sitzen, wo ihr euch so lange nicht mehr gesehen habt? Ihr scheint keine besonders guten Freundinnen zu sein.«
»Doch, das sind wir«, versicherte Bast hastig. »Aber … Patsy … war schon immer ein bisschen …«
»Eigenwillig?«, half Faye aus. Sie lachte. »Ja, das klingt ganz nach Patsy Kline. Hat sie dir gesagt, dass sie wiederkommt … morgen oder später?«
»Warum?«
»Weil du dich nicht wundern solltest, wenn sie nicht auftaucht«, antwortete Faye. »So ist es nun mal … aber das weißt du ja bestimmt. Wo ihr euch doch schon so lange kennt.«
»Ja, sicher«, antwortete Bast. »Und du? Wie lange kennst du Patsy schon?«
»So lange wie die anderen«, antwortete Faye. »Ein gutes Jahr. Vielleicht ein bisschen länger.«
»So lange lebst du schon hier?«, vermutete Bast. »Und vorher?«
»Vorher?«
»Du musst doch irgendwo aufgewachsen sein. Was hast du vorher gemacht? Bevor du …«
»Bevor ich als Hure gearbeitet hab?«, fiel ihr Faye ins Wort. Ihr Blick wurde hart. »Ja, ich bin woanders aufgewachsen. Auf einem Gutshof in Sussex. Meine Mutter war dort Magd, und wir hatten einen richtig noblen Herrn. Einen Gentleman,
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