Anubis 02 - Horus
Küchentür flog auf, und Abberline kam herein, einen Revolver in der rechten Hand. »Seien Sie froh, dass Sie noch leben, Jacob«, sagte er. An Bast gewandt fügte er hinzu: »Der Konstabler ist tot. Jemand hat ihm die Kehle durchgeschnitten.«
Bast fragte sich beiläufig, wieso er eigentlich nicht einmal außer Atem war. Er musste das Haus in Rekordzeit umrundet und über die Mauer gestiegen sein. Er war besser in Form, als sie angenommen hatte.
»Wo sind Mrs Walsh und das Mädchen?«, fragte er. »Noch unterwegs, hoffe ich?«
Maistowe verbarg das Gesicht in den Händen und musste sich anstrengen, um nicht vor Schwäche auf die Seite zu kippen. »Sie sind … kurz vorher zurückgekommen«, murmelte er. »Cindy war oben, und …«
Bast hatte genug gehört. Etwas in ihr schien zu Eis zu erstarren, während sie aufstand und das Schwert zog. »Bleiben Sie bei ihm, Inspektor.«
Sie rechnete nicht wirklich damit, dass er das tat, nahm aber auch keine Rücksicht auf ihn, sondern sprang mit gewaltigen Sätzen die Treppe hinauf und lief praktisch durch die erste Tür hindurch, ohne auch nur langsamer zu werden. Es gab keinen Grund mehr, vorsichtig zu sein. Wenn Horus tatsächlich noch im Haus war, wartete er ohnehin auf sie.
Der Raum war jedoch leer; sah man von fünf Toten ab, die säuberlich nebeneinander auf dem blutgetränkten Doppelbett lagen.
Bast versetzte der Tür einen zweiten, wütenden Tritt, der sie gegen die Wand krachen und in Stücke brechen ließ.
»Horus, du verdammter Feigling!«, schrie sie. »Zeig dich! Ich bin hier! Das wolltest du doch!«
Sie bekam keine Antwort. Als sie das Zimmer verließ, kam Abberline mit gezogener Waffe am oberen Ende der Treppe an. Er wollte an ihr vorüber eilen, doch Bast stieß ihn mit einer groben Bewegung zurück, trat an die nächste Tür heran und sprengte sie mit einem Fußtritt auf.
Das Geräusch, mit dem die Tür gegen die Wand prallte und von oben nach unten riss, ging in dem hellen Klirren unter, mit dem das Schwert ihren Fingern entglitt und zu Boden fiel.
Horus wartete auch hier nicht auf sie, doch auch dieses Zimmer war nicht leer, und Mrs Walsh hatte auch hier sämtliche Lampen entzündet, den Gespenstern, die sie zu fürchten schien, damit aber ebenso wenig Einhalt gebieten können wie unten im Haus. Bast konnte sogar erkennen, auf welchem Weg sie hereingekommen waren: Das Fenster stand offen, und es war inzwischen auch hier drinnen empfindlich kalt geworden; kalt genug, um Mrs Walshs Atem, die auf dem Bett saß und Cindy wie einen Säugling in den Armen hielt, in grauen Dunst zu verwandeln. Auch von ihren Händen, die voll waren mit Cindys Blut, stieg ein feiner, dunstiger Nebel auf, ebenso wie von der klaffenden Wunde an Cindys Kehle.
»Großer Gott, was … was ist … passiert?«, stammelte Abberline. An ihr vorbei wollte er das Zimmer betreten, doch Bast rührte sich nicht – sie konnte es nicht. Etwas in ihr war … einfach erstarrt. Tot. Sie stand einfach nur da und starrte Mrs Walsh und das tote Mädchen an, unfähig, sich zu rühren, zu denken, sodass Abberline sie schließlich fast mit Gewalt aus dem Weg schieben musste, um zum Bett zu gelangen. Auf dem Weg dorthin steckte er seinen Revolver ein, um mit beiden Händen nach Mrs Walsh oder dem Mädchen greifen zu können, doch einen halben Schritt, bevor er das Bett erreichte, schienen ihn alle seine Kräfte zu verlassen. Er blieb stehen, und seine Arme sanken kraftlos herunter.
»Großer Gott«, murmelte er. »Mrs Walsh …«
»Er … er hat sie einfach … umgebracht«, flüsterte Mrs Walsh. Ihre Stimme war nur ein Hauch, so dünn wie das Weinen eines verwundbaren kleinen Vogels. Sie hatte geweint – Bast erinnerte sich plötzlich an das gedämpfte Schluchzen, das sie draußen auf der Straße gehört hatte, und sie sah auch die Spuren der Tränen auf ihrem Gesicht –, aber jetzt waren ihre Augen trocken. »Einfach so. Sie hat gar nichts gesagt. Sie hat nicht einmal Angst gehabt. Er hat ihr einfach … die Kehle durchgeschnitten. Einfach so.«
»Wer?«, fragte Abberline.
Mrs Walsh antwortete ihm nicht. Mühsam, als laste ein unsichtbares Tonnengewicht auf ihren schmalen Schultern, hob sie den Kopf und sah Bast an. Auch Abberline drehte den Kopf und warf ihr einen eher schon verzweifelten als fragenden Blick zu, doch Bast reagierte auf nichts davon. Sie starrte Cindy an und wartete darauf, dass sie etwas empfand. Aber da war … nichts.
Abgesehen von der dünnen Wunde an ihrem Hals war
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