Anubis 02 - Horus
entfernt – auf dem Boden auf, und nur den Bruchteil eines Atemzuges später sie selbst, und wenn sie gedacht hatte, das bisher Erlebte wäre schlimm, so sah sie sich eines Besseren belehrt.
Alles wurde … weiß.
Es war nicht so, dass sie das Bewusstsein verlor – obwohl sie es sich gewünscht hätte – oder nichts mehr sah, aber alles, was sie für endlose Sekunden wahrnahm, waren weiße Gespenster auf weißem Grund, kaum mehr als zuckende Umrisse, die einen grotesken lautlosen Tanz aufzuführen schienen. Und was sie sah, das war noch viel unglaublicher.
Horus war neben ihr zusammengebrochen, ein wimmerndes Bündel aus purer Pein, aber auch unbeschreiblicher Wut, das in einer vollkommen unmöglich verkrampften Haltung dalag und blindlings über den Boden tastete, aber da war auch Abberline, der trotz seiner durchschnittenen Kehle nicht nur immer noch auf den Beinen war, sondern sich suchend umsah, schließlich nach dem Schwert bückte, das Bast fallen gelassen hatte …
Und Horus mit einem einzigen, gewaltigen Schwerthieb enthauptete!
Bast rechnete fest damit, allerspätestens jetzt das Bewusstsein zu verlieren, aber das genaue Gegenteil geschah: Ihre Gedanken klärten sich, und Farbe und Tiefe kehrten in das Bild vor ihren Augen zurück. Was ihr wie eine vollkommen absurde Vision vorgekommen war, entpuppte sich als Wirklichkeit: Sie lag noch immer auf dem Rücken, hilflos und gelähmt und mit zertrümmerten Beinen und etwas, das wie ein weiß glühendes Messer in ihren Eingeweiden wühlte, und Horus’ kopfloser Leichnam lag so dicht neben ihr, dass sie ihn mit dem ausgestreckten Arm hätte berühren können. Wäre sie imstande gewesen, den Arm auszustrecken. Abberline stand noch immer breitbeinig über ihm, das Schwert in beiden Händen, und hellrotes Blut sprudelte in Strömen aus seinem Hals. Eigentlich musste er tot sein, aber das schien er nicht zu wissen. Vielleicht war er auch einfach nur zu stur, um es zuzugeben. Zuzutrauen wäre es ihm.
Bast blinzelte, versuchte sich hochzustemmen und bedauerte diesen Einfall sofort wieder, und mit einem gellenden Schrei. Wo ihre Beine sein sollten, war nur loderndes Feuer.
Etwas klirrte. Bast zwang sich, sich zu konzentrieren, blendete den Schmerz mit aller Willenskraft aus und öffnete nach einigen Sekunden und sehr viel langsamer noch einmal die Augen. Abberline hatte das Schwert fallen gelassen und war endlich auf die Knie hinabgesunken. Er hatte beide Hände gegen den Hals geschlagen und versuchte vergebens, den Blutstrom einzudämmen, der noch immer aus seiner durchschnittenen Kehle sprudelte. Aber er lebte immer noch. Er war zu stur, um zu sterben, dachte Bast hysterisch.
Und als wäre das noch nicht genug, löste er eine zitternde, mit hellrotem Blut besudelte Hand von seiner durchschnittenen Kehle und streckte sie nach ihr aus, obwohl er viel zu weit entfernt war, um sie zu berühren.
»Ist … alles in Ordnung mit Ihnen?«, würgte er hervor.
Wahrscheinlich mehr als mit ihm, dachte sie verwirrt – aber trotzdem war sie es, die es eindeutig mehr Mühe kostete als ihn, zu sprechen.
»Nicht unbedingt, Inspektor«, krächzte sie. »Aber ich lebe noch.« Auch wenn sie sich beinahe wünschte, es wäre nicht so. Sie konnte sich nicht erinnern, jemals etwas so Schlimmes erlebt zu haben … aber eigentlich konnte sie sich auch nicht erinnern, jemals etwas so Dummes getan zu haben. Dass sie überhaupt noch lebte, glich einem Wunder.
Abberlines Gedanken mussten sich wohl auf ganz ähnlichen Pfaden bewegen, denn er hob mühsam den Kopf und blinzelte zu der Galerie hinauf. Bast erwartete, dass die Wunde an seiner Kehle weiter auseinanderklaffte und er endlich begriff, dass er eigentlich tot zu sein hatte, aber das genaue Gegenteil war der Fall: Die Wunde hintere schon nicht mehr so heftig wie bisher, und Rast sah. dass der Schnitt tatsächlich nur oberflächlich gewesen war; tief genug, um heftig zu bluten, aber nicht tief genug, um ihn umzubringen. Er hatte unglaubliches Glück gehabt, und wahrscheinlich würde er niemals begreifen, wie viel Glück.
»Unglaublich«, murmelte Abberline. Sein Blick irrte ununterbrochen zwischen Bast und der Galerie hin und her, ohne an einem von beidem wirklich Halt zu finden. »Ich habe es mit eigenen Augen gesehen, aber es fällt mir schwer, es zu glauben. So einen Sprung …«
»Da geht es mir ganz genauso«, antwortete Bast. Sie versuchte noch einmal, sich aufzurichten. Solange sie ihre Beine dabei nicht belastete, ging
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