Anubis 02 - Horus
es. »Sie haben Horus getötet. Einen von uns.«
»Zieht das jetzt die Blutrache der ganzen Familie nach sich?«, fragte Abberline.
Bast begriff zwar, dass er sich in schwarze Ironie rettete, um irgendwie mit dem unerträglichen Druck fertig zu werden, der auf ihm lastete, aber sie fand die Bemerkung trotzdem unpassend und ignorierte sie. »Sie sind der erste Sterbliche, dem das gelungen ist«, sagte sie ernst. »Jedenfalls seit sehr langer Zeit.«
»Ich hatte ein wenig Hilfe«, antwortete Abberline. Er hustete, verzog das Gesicht und griff sich an den Hals und zog eine noch heftigere Grimasse. »Sie haben mir das Leben gerettet, Bast. Eine Sekunde später …«
»Bilden Sie sich nur nicht zu viel ein«, sagte Bast grimmig. »Es war die einzige Chance, die ich hatte, um ihn zu besiegen. Wäre ich ihm in einem fairen Kampf gegenübergetreten, hätte er mich in Stücke geschnitten.«
Abberline sah sie zweifelnd an, und auch Bast war nicht ganz sicher, ob ihre Worte tatsächlich der Wahrheit entsprachen. Was das in Stücke schneiden anging sicher – aber sie hatte gar nicht darüber nachgedacht, sondern einfach nur begriffen, dass Abberline in einer tödlichen Gefahr schwebte und ganz instinktiv gehandelt.
Bast drehte sich mit zusammengebissenen Zähnen auf die Seite, um Horus’ Leichnam zu begutachten; etwas, das sie bisher fast krampfhaft vermieden hatte; als fürchte ein Teil von ihr immer noch, dass sich Horus plötzlich neben ihr aufrichten und nach seinem Schwert greifen könnte.
Aber Horus war tot, tatsächlich und unwiderruflich. Sein kopfloser Torso lag in einer sich ausbreitenden Blutlache. Sein Schädel lag gute zehn Fuß entfernt, aber ein gnädiges Schicksal wollte es, dass sich sein Turban halb gelöst und der schwarze Stoff wie ein barmherziger Schleier über sein Gesicht ausgebreitet hatte. Dennoch jagte ihr der Anblick einen eisigen Schauer über den Rücken. Abberline hatte vollkommen recht: Vielleicht hatte er das Schwert geführt, das Horus enthauptete, aber letzten Endes hatte er nur zu Ende gebracht, was sie angefangen hatte. Streng genommen hatte sie Horus getötet, und sie sollte irgendetwas empfinden; zumindest einen Hauch von Schuld.
Aber der Anblick ließ sie vollkommen kalt. Es war vorbei, so einfach war das.
»Herzlichen Glückwunsch, Inspektor«, sagte sie matt. Abberline blickte fragend, und Bast fuhr mit einer deutenden Geste auf Horus’ Körper fort: »Sie sollten hier vielleicht ein bisschen aufräumen, und wie Sie es Ihren Vorgesetzten erklären, überlasse ich Ihrer Fantasie … aber wie es aussieht, haben Sie Jack the Ripper erwischt.«
Abberline sah sie auf eine Weise an, die ihr nicht gefiel.
»Auf jeden Fall hört es jetzt auf«, fügte sie hinzu.
»Ich fürchte, es ist noch nicht vorbei«, antwortete Abberline ernst. »Glauben Sie, dass Sie aufstehen können?«
»Warum?«, fragte Bast alarmiert.
Abberline deutete auf Horus hinunter. »Er hätte mir die Kehle durchgeschnitten, wenn Sie nicht im letzten Moment aufgetaucht wären. Aber zuvor hat er mir noch etwas ins Ohr geflüstert. Er hat gesagt, dass alles umsonst war und er sich darauf freut, Ihnen das zu sagen, bevor er Sie tötet.«
»Das was umsonst war?«
»Das Mädchen«, antwortete Abberline. »Faye. Er hat mir gesagt, dass sie in diesem Moment unterwegs sei, um Faye zu töten.«
Der Wagen schoss so schnell über die nächtlichen Straßen, dass die Lichter der Stadt nur so vorüberzufliegen schienen, aber davon nahm Bast kaum etwas wahr. Sie war noch immer wie vor den Kopf geschlagen, und trotz der Zeit, die inzwischen vergangen war, weigerte sie sich einfach, zu glauben, was sie gehört hatte. Sie? Isis? Das war vollkommen unmöglich! Es konnte nicht sein, ganz einfach, weil es nicht sein durfte! Nicht Isis!
Und doch ergab alles einen schrecklichen Sinn – oder hätte ihn ergeben, wäre sie bereit gewesen, es zuzugeben. Sowohl Horus als erst recht Sobek hätten nicht die geringsten Hemmungen gehabt, Menschen einfach nur so zu töten, aus einem beliebigen oder auch gar keinem Grund, aber warum hätten sie Kate und Liz töten sollen? Für sie wären dies nur zwei zufällige Morde gewesen, an zwei Menschen, die ein gemeinsames Schicksal verband. Nein, es musste jemand gewesen sein, der die beiden Frauen gekannt hatte, der sie getötet hatte aufgrund dessen, wer sie waren. Was sie waren. Wie hatte sie das nur übersehen können? Wie hatte sie auch nur eine Sekunde lang so dumm sein können?
Und doch
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