Anubis 02 - Horus
weigerte sie sich immer noch, es zu glauben.
Nicht Isis.
Nicht Isis!
»Wir sind gleich da«, drang Abberlines Stimme in ihre Gedanken. »Noch eine Minute, oder zwei.«
Bast streifte ihn mit einem flüchtigen Blick und zwang sich dann, noch einmal aus dem Fenster zu sehen, um sich zu orientieren. Sie hatten Whitehall bereits erreicht, und der Wagen schoss regelrecht seinem Ziel entgegen.
Bast spürte jeden einzelnen Hufschlag der beiden Pferde, die der Kutscher unbarmherzig mit seiner Peitsche antrieb; und jedes einzelne Schlagloch, durch das der Wagen sprang. Als sie das erste Mal hier gewesen war, war ihr die Straße glatt und in perfektem Zustand erschienen, jetzt hatte sie das Gefühl, über den Hang eines noch nicht erloschenen Vulkans zu stolpern, der mit weiß glühenden Rasierklingen gespickt war. Jede einzelne Erschütterung jagte rote Schmerzpfeile durch ihre Unterschenkel, und sie schmeckte schon wieder ihr eigenes Blut, weil sie sich ein paar Mal heftig auf die Zunge gebissen hatte, um einen Schmerzlaut zu unterdrücken. Sie konnte den verbissenen Kampf fühlen, der in ihrem Inneren tobte. Ihr Körper versuchte mit aller Macht, die Verletzungen zu heilen, die er erlitten hatte, als spüre er selbst, wie furchtbar wenig Zeit ihr noch blieb; aber selbst ihr phantastischer Metabolismus benötigte Zeit, um zertrümmerte Knochen und zerrissene Muskelstränge und Sehnen zu heilen … und Zeit war genau das, was sie nicht hatte. Abberline hatte sie aus der Kathedrale getragen, da sie aus eigener Kraft nicht mehr dazu imstande gewesen war zu gehen, und seither waren erst wenige Minuten vergangen. Hätte sie auch nur eine Stunde gehabt …
Aber die hatte sie nicht.
»Glauben Sie, dass Sie laufen können?«, fragte Abberline.
Bast setzte dazu an, zu nicken, schon weil sie auf derartige Fragen immer mit einem Nicken antwortete, aber dann beließ sie es bei einem zaghaften Heben der Schultern. Sie würde vermutlich laufen können, wenn auch nur vorsichtig und unter Schmerzen, aber das allein nutzte ihr überhaupt nichts. Wenn Isis tatsächlich auf dem Weg zum Yard oder bereits da war, hatte sie keine Chance, sie aufzuhalten. Nicht in ihrem Zustand.
Isis.
Allein der bloße Gedanke, Isis mit dem Schwert in der Hand gegenübertreten zu sollen, war absurd. Es war unmöglich!
Und doch war es so.
Es war die ganze Zeit über so gewesen.
»Ich kann ein paar Männer rufen, die Ihnen helfen«, schlug Abberline vor. Anscheinend hatte ihn ihre Antwort nicht unbedingt überzeugt.
Bast zwang sich, wenigstens für einen Moment nicht an Isis zu denken und sah ihn an. Bei dem Anblick, den Abberline bot, konnte er vermutlich froh sein, wenn man ihn in den Yard ließ, statt ihn auf der Stelle zu verhaften oder ins Irrenhaus zu stecken. Sein Gesicht war nicht mehr blass, sondern grau, seine Haare verschwitzt und mit eingetrocknetem Blut verkrustet, und in seinen Augen flackerte etwas, das ihn fast wie einen Wahnsinnigen aussehen ließ. Er hatte einen Streifen aus seinem Hemd gerissen und einen schmalen Verband um seinen Hals damit improvisiert. Die Tatsache, dass er noch nahezu weiß war, bewies, dass die Wunde aufgehört hatte zu bluten, aber sein Hemd war nass und dunkelrot, und auch seine Hände waren blutbesudelt.
»Machen Sie sich keine Sorgen«, fuhr er fort, als er auch jetzt keine Antwort bekam. »Monro ist vielleicht ein skrupelloses Schwein, aber er ist kein Narr. Er wird Faye wie seinen Augapfel bewachen. Ihre Schwester wird ihr nicht einmal nahe kommen. Sie wird verhaftet, sobald sie den Yard auch nur betritt.«
Wenn sie es in ihrer eigenen Gestalt tut, vermutlich, dachte Bast bitter. Aber das wird sie nicht. Laut sagte sie: »Beten Sie, dass das nicht geschieht, Inspektor, denn dann werden Sie ein Haus voller Leichen vorfinden.«
Abberline setzte dazu an, zu widersprechen … aber dann machte er nur ein betroffenes Gesicht. Wahrscheinlich erinnerte er sich wieder daran, was er gerade mit eigenen Augen gesehen hatte.
Sie waren da. Der Wagen kam mit einem Ruck zum Stehen, der Bast nicht nur abermals die Tränen in die Augen trieb, sondern ihr auch klarmachte, wie lächerlich schon der bloße Gedanke war, Isis aufhalten zu wollen. Abberline sprang aus der Tür und drehte sich in der gleichen Bewegung herum, um ihr die Hand entgegenzustrecken. Ganz gegen ihre normale Gewohnheit nahm Bast das Angebot nicht nur an, sondern stützte sich auch schwer auf seinen Arm und trat äußerst vorsichtig aus dem Wagen. Es
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