Anubis 02 - Horus
verwandeln schien, dem nicht einmal mehr Basts Blicke folgen konnten, schoss sie quer durch das Zimmer, stieß sich mit einem zweiten, noch kraftvolleren Sprung ab, landete auf dem kleinen Beistelltisch, auf dem Mrs Walsh vorhin Maistowes Tasse abgestellt hatte und flog von dort aus weiter zum Fenster. Die Tasse polterte zu Boden und zerschellte, und Mrs Walshs erschrockener Aufschrei vermischte sich mit dem Geräusch von zerreißendem Stoff, als sich Cleopatras Krallen in den falschen Samt der Vorhänge gruben.
Nicht nur der Samt der Vorhänge war falsch, auch die fingerdicke Eisenstange, an der sie aufgehängt waren, gaukelte eine Festigkeit vor, die sie ganz und gar nicht besaß. Die komplette Gardinenstange samt der Vorhänge und der daran hängenden schwarzen Katze fiel herunter. Cleopatras Fauchen und Spucken hörte sich mit einem Male viel mehr verdutzt und empört an als wütend, und Mrs Walsh stieß einen zweiten, diesmal eindeutig entsetzten Schrei aus, schlug die Hand vor den Mund und sprang so heftig auf, dass ihr Stuhl um ein Haar umgefallen wäre.
Und vor dem Fenster … verschwand ein Schatten.
Es ging so schnell, dass auch sie nicht mehr als einen flüchtigen Schemen sah; und vielleicht einen noch flüchtigen Eindruck von schlagendem schwarzem Gefieder und einem schrecklichen, gekrümmten Schnabel hatte.
Und trotzdem war sie diesmal vollkommen sicher, dass es ein Falke gewesen war.
ZWEITES Kapitel
Es war ein unruhiger Rest der Nacht gewesen, und nicht nur für Bast. Nachdem sich die erste Aufregung gelegt hatte – Mrs Walsh hatte sich nach dem ersten, beinahe hysterischen Ausbruch für den Rest des Abends in beleidigtes Schweigen gehüllt und weder die schwarze Katze noch sie auch nur noch eines einzigen Blickes gewürdigt, woran auch Maistowes bescheidene Versuche, die heruntergerissene Gardinenstange wieder an ihrem Platz zu befestigen und den Schaden irgendwie zu begrenzen, nichts geändert hatten –, hatten sie nur noch eine kurze Weile zusammengesessen und versucht, irgendwelche Belanglosigkeiten auszutauschen, um damit die Peinlichkeit des Moments zu überspielen. Natürlich hatte es nicht funktioniert, und so hatte sich Bast nicht einmal die Zeit genommen, ihren Tee auszutrinken, sondern sich schließlich unter einem Vorwand zurückgezogen.
Natürlich war an Schlaf nicht zu denken gewesen, jedenfalls nicht sofort. Stattdessen war sie, ohne Licht zu machen, ans Fenster des kleinen, nach Osten führenden Zimmers getreten, um es zu öffnen und den Nachthimmel aufmerksam mit Blicken abzusuchen. Sicher eine halbe Stunde, wenn nicht länger, hatte sie einfach so dagestanden und die Unterseiten der bauchigen schwarzen Wolken angestarrt, die so tief über der Stadt hingen, dass man meinte, sie mit den ausgestreckten Armen berühren zu können. Von dem Vogel war keine Spur mehr zu sehen. Natürlich nicht.
Aber Bast war trotzdem nicht nur vollkommen sicher, dass es sich tatsächlich um einen Falken und nicht um eine irregeleitete Möwe oder eine besonders vorwitzige Taube gehandelt hatte, sondern darüber hinaus auch, dass es genau dasselbe große Tier gewesen war, das sich schon am Morgen am Hafen so sonderbar verhalten hatte. Und dass es sich nicht um einen gewöhnlichen Falken handelte, war ihr ebenfalls klar.
Schließlich war die Kälte weit genug ins Zimmer gekrochen, dass sie es nicht mehr aushielt, sondern das Fenster schloss und sich unter die Bettdecke verkroch. Es dauerte lange, bis sie einschlief, und es war alles andere als eine ruhige Nacht. Immer wieder schrak sie hoch, mit einem schlechten Geschmack im Mund, klopfendem Herzen und der verschwommenen Erinnerung an Träume, die etwas ungemein Bedrohliches gehabt hatten, ohne dass sie sich an Einzelheiten erinnern konnte. Vage, hektisch wechselnde Bilder und Gefühle ohne irgendeinen Zusammenhang oder etwas wie eine Handlung, und sei sie noch so absurd. Bilder voller Angst und Flucht, voller Schreie und verlockendem Duft von warmem Blut. Träume von der Jagd. Und sie war ganz offensichtlich nicht die Einzige, der der Schlaf in dieser Nacht keine Erholung brachte. Mehr als einmal hörte sie Geräusche, und ein- oder zweimal auch gedämpfte Stimmen, die unten im Haus murmelten.
Als sie schließlich wieder einmal die Augen aufschlug und feststellte, dass die Schwärze vor dem Fenster allmählich einem wattigen, grauen Zwielicht zu weichen begann, gab sie es auf. Statt weiter um einen Schlaf zu ringen, der nicht kommen wollte und wenn
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