Anubis 02 - Horus
Wüstensand hineininterpretierte, der darin tanzte, und die Schatten dazwischen waren zu tief und zu dunkel, als verlöre sich der Blick nicht einfach nur in unbeleuchteten Gefilden, sondern glitte gleichsam in eine vergangene Zeit. Selbst hier in der Eingangshalle, die im Grunde nicht mehr als Leere und einige wenige, sorgsam gerahmte Bilder und in gläsernen Vitrinen autgestellte Exponate zeigte, die Bast allesamt nicht interessierten, glaubte man schon den Atem der Zeit zu spüren, als hätte man den ersten Schritt auf einer Reise in die Vergangenheit getan.
»Kommen Sie, meine Liebe.« Mrs Walsh zupfte an ihrem Ärmel und deutete nach rechts; anscheinend wahllos tiefer hinein in das Flirren von Schatten und Licht. Nicht, dass es nötig gewesen wäre. Etwas … wehte ihr aus dieser Richtung entgegen, etwas wie ein lautloses Flüstern und Locken, das einen Teil ihrer Seele berührte, von dem sie schon gar nicht mehr wirklich gewusst hatte, dass sie ihn besaß. Etwas war dort. Etwas, von dem sie nicht sicher war, ob es da sein sollte. Ob es überhaupt sein sollte.
Mrs Walsh sah sie forschend an. »Und Sie sind wirklich sicher, dass Sie sich wohl fühlen?«
»Wohl fühlen?«
»Nehmen Sie ’s mir nicht übel, aber Sie … sehen nicht gut aus«, antwortete Mrs Walsh unbehaglich. Sie lachte nervös. »Ich weiß ja, dass es gar nicht möglich ist, aber wäre es nicht so, würde ich glattweg behaupten, dass Sie ein bisschen blass sind, mein Kind. Stimmt irgendetwas nicht mit Ihnen?«
Bast setzte zu einem Kopfschütteln und einer vielleicht eine Spur schärferen Antwort an, besann sich aber dann eines Besseren und sagte gar nichts.
Sie durchquerten die große Eingangshalle, und Mrs Walsh schob sich auf dem letzten Stück schnaubend an ihr vorbei, um an einem kleinen Tischchen unmittelbar neben dem Durchgang zwei Billetts zu lösen, und natürlich wurden sie angestarrt; nicht nur von der ältlichen Frau, die in einer dunkelblauen Fantasieuniform hinter dem Tisch saß und die wenigen Münzen einstrich, die Mrs Walsh aus ihrer zerschlissenen Geldbörse klaubte. Bast versuchte das Gefühl zu ignorieren – schließlich war sie es wahrlich gewohnt, angestarrt zu werden –, aber es wollte ihr nicht gelingen. Dieses Gefühl hier war … anders. Unangenehmer. Es waren nicht die neugierigen und zu einem überraschend großen Teil nicht nur scheuen, sondern auch feindseligen Blicke der anderen Museumsbesucher, die sie mit diesem unheimlichen Gefühl erfüllten. Es war, als wäre es das Gebäude selbst, das sie anstarrte – oder etwas, das unmittelbar hinter seinen Mauern lebte.
Dann trat sie hinter Mrs Walsh durch eine weitere, nur unwesentlich kleinere Tür als die, durch die sie dieses Gebäude betreten hatten, und aus ihrer vagen Ahnung wurde Gewissheit. Es war ein Schritt in eine andere Welt.
Unmittelbar hinter dem Eingang, mit großem Geschick so platziert, dass jeder, der den Saal betrat, eine hinreichende Menge beeindruckender Details wahrnehmen, die beiden Statuen in ihrer ganzen Größe aber nicht sofort mit Blicken erfassen konnte, sodass man im allerersten Moment nicht wirklich begriff, was man sah, sehr wohl aber einen fast körperlichen Eindruck von Größe und Gewaltigkeit bekam, erhoben sich zwei kolossale steinerne Statuen, jede mehr als acht Meter hoch und aus ägyptischem Sandstein gemeißelt, dem all die vergangenen Millennien zwar die Farbe der Bemalung, aber nichts von seiner lebendigen, warmen Beschaffenheit hatten nehmen können. Auch wenn sie auf den ersten Blick vollkommen unterschiedlich erscheinen mochten, so zeigten sie doch nicht nur beide dieselbe Person, einen sitzenden Mann mit ägyptischer Königskrone, dessen Hände die Jahrtausende nicht nur seiner Finger, sondern auch des Schlangenszepters beraubt hatten, sondern waren auch unter der Anleitung desselben Künstlers entstanden; genauer gesagt: derselben Künstlerin .
Die beiden Statuen zeigten Ramses IL, einmal als jungen Mann, fast noch ein Knabe, einmal als den weisen, alten Herrscher, als der er weniger in die Geschichte als in die Herzen der Menschen eingegangen war.
Der Anblick war ein Schock. Für einen Moment, der so kurz war, dass er selbst Mrs Walshs aufmerksamen Blicken entging, die wie gebannt auf ihrem Gesicht hingen, glaubte sie Musik zu hören, spürte sie den Duft von warmem Zedernholz und den Geruch von heißem Sand, und für einen – noch unendlich viel kürzeren, unendlich süßen – Augenblick durchrieselte sie ein
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