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Anubis 02 - Horus

Anubis 02 - Horus

Titel: Anubis 02 - Horus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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größer eben. Und unser Magazin natürlich.«
    »Magazin?«
    »Wir haben viel zu viele Exponate, um sie alle gleichzeitig auszustellen, gnädige Frau«, antwortete Renouf, dem es sichtliche Freude bereitete, über seine Schätze zu reden. »Das könnten wir gar nicht. Nicht einmal unser Platz reicht dazu aus. Das allermeiste lagern wir hier unten ein und tauschen es von Zeit zu Zeit aus.«
    Sie hatten die Tür erreicht, auf die er gerade gedeutet hatte, und Renouf drückte die Klinke herunter und zog sie auf, trat jedoch nicht hindurch, sondern machte nur eine einladende Geste mit der freien Hand. »Bitte, die Damen.« Er blinzelte Bast zu. »Und keine Sorge. Dahinter gibt es keine Stufe.«
    Aber auch keine Menschen. Hinter der Tür brannte das ruhige gelbe Licht einer Petroleumlampe, und sie hörte nicht den mindesten Laut. Ganz plötzlich war ihr Misstrauen wieder da, und dass sie nach wie vor genau wusste, wie wenig Grund es dafür gab, machte es eher schlimmer. Mrs Walsh trat gehorsam durch die Tür, aber Bast rührte sich nicht, sondern sah Renouf nur aus schmalen Augen an.
    »Was soll das?«, fragte sie. »Das ist nicht der Aufenthaltsraum.«
    »Nein«, gestand Renouf. »Ich gebe zu, Sie haben mich ertappt. Der Aufenthaltsraum liegt hinter der nächsten Tür, und selbstverständlich bringe ich Sie sofort dorthin. Aber ich konnte der Versuchung einfach nicht widerstehen, Ihnen unseren größten Schatz zu zeigen. Tun Sie einem alten Mann die Freude und schenken Sie ihm fünf Minuten Ihrer Zeit. Sie werden es nicht bereuen, das verspreche ich.«
    Bast wusste, dass sie es bereuen würde, aber trotz allem konnte sie nicht anders, als die Mischung aus Unverschämtheit und Nonchalance zu bewundern, die Renouf an den Tag legte … und er hatte ihre Neugier geweckt. Auch wenn sie ziemlich sicher war, dass ihr das, was er ihr zeigen wollte, noch sehr viel weniger gefallen würde als die Halle oben.
    Sie war es allein ihrem Stolz schuldig, noch einen Herzschlag lang zu zögern und ihn trotzig anzufunkeln, aber dann trat sie doch an ihm vorbei und gebückt durch die Tür.
    Etwas … streifte sie.
    Es war kein körperliches Gefühl, sondern ein Empfinden wie die Berührung schwebender Spinnweben auf der Haut, nur dass dieses klebrige Tasten ihre Seele streifte und ungleich düsterer und kälter war, sodass sich etwas in ihr krümmte wie unter einem jähen Schmerz. Und vielleicht hätte sie sogar auf diese allerletzte, verzweifelte Warnung noch reagiert, hätte sie das, was sie erblickte, nicht trotz allem so vollkommen überrascht.
    Wie sie erwartet hatte, war Mrs Walsh der einzige Mensch, der sich in dem weitläufigen, niedrigen Raum befand, aber das nahm sie kaum zur Kenntnis.
    Sie hatte geglaubt, die perfide Zurschaustellung gestohlener Vergangenheit oben in der Halle wäre das Schlimmste, was sie an diesem Ort erwarten konnte.
    Das hier war schlimmer. Keine bloße Verhöhnung von allem, was ihr heilig und wertvoll war, sondern ein Schlag ins Gesicht ihres ganzen Volkes, ein Anblick, der sie im Innersten in lautloser Wut aufschreien ließ, zugleich aber auch so vollkommen lähmte, dass sie einfach wie erstarrt dastand und nicht einmal den winzigsten Laut herausbrachte.
    »Nun, habe ich zu viel versprochen?« Etwas stimmte mit Renoufs Stimme nicht, aber sie war auch nicht fähig, darauf zu reagieren, so wenig wie auf das unüberhörbare Geräusch, mit dem er die Tür hinter sich ins Schloss zog.
    Sie war in einem Grab. In einem Tempel. Auf einem Schlachtfeld und in einem Wohnhaus, in der Werkstatt eines Goldschmiedes und der Kammer eines Stadtschreibers, alles zugleich und nichts davon und noch tausend andere Dinge … Der Raum war angefüllt mit den herausgerissenen und geschändeten Eingeweiden ihrer Vergangenheit, die Geschichte eines ganzen Volkes, in Stücke gerissen und in Kisten und Kartons und Säcke verpackt und hierher verschleppt, an einen Ort, der so kalt und dunkel war wie die Hölle. Sie hatten sich nicht einmal die Mühe gemacht, sie sorgfältig aufzustapeln oder zu sortieren. Alles lag durch- und übereinander, vieles war beschädigt oder zerstört, als hätte hier rohe Gewalt geherrscht statt der behutsamen Hand eines Wissenschaftlers: Kisten waren aufgebrochen oder so achtlos übereinandergestapelt, dass sie zu Boden gestürzt und zerborsten waren, Säcke waren aufgerissen und kostbare Kanopen aus Alabaster in Stücke geschlagen. Zorn überkam Bast, ein kalter, fordernder Zorn, der wie eine Flamme in

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