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Anubis 02 - Horus

Anubis 02 - Horus

Titel: Anubis 02 - Horus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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verschwand.

    Bast starrte die Stelle, an der Sobek und er gerade noch gestanden hatten, eine geschlagene Sekunde lang an, bevor sie überhaupt begriff, dass die beiden nicht mehr da waren. Dann ballte sie in ohnmächtiger Wut die Fäuste und murmelte den ordinärsten Fluch in ihrer Muttersprache, an den sie sich erinnern konnte. Sie hasste es, wenn er das tat. Natürlich war es kaum mehr als ein billiger Taschenspielertrick, nicht viel spektakulärer als der billige Zauber, den man auf jedem Jahrmarkt bestaunen konnte, aber bei Horus ärgerte es sie einfach.
    So wie so ziemlich alles, was Horus tat.
    Ein gluckerndes Platschen drang in ihre Gedanken. Bast drehte beinahe widerwillig den Kopf und sah eine fast terriergroße Ratte, die ein kleines Stück oberhalb ihrer Position ins stinkende Wasser des Kanals gesprungen war und mit hektischen Paddelbewegungen gegen die Strömung ankämpfte, vielleicht durch eine ungeschickte Bewegung ins Wasser gefallen, vielleicht auch auf der Jagd nach einer Köstlichkeit, die die Strömung herantrieb.
    Was immer es war, Bast sollte es nie erfahren, denn plötzlich spritzte das Wasser rings um die Ratte auf, und ein gewaltiges Kieferpaar schloss sich mit einem Knall wie eine zuschnappende Bärenfalle.
    Der Drache war verschwunden, ohne dass sie mehr als einen flüchtigen Blick auf glitzernde Schuppen und ein einzelnes, starrendes Echsenauge erhaschte, aber Bast hatte die Warnung verstanden.
    Dass sie Sobek nicht mehr sah, bedeutete nicht, dass er nicht mehr da war.
    Außerdem musste sie zurück. Die fünf Minuten, die sie mit Mrs Walsh vereinbart hatte, waren längst vorbei.
    Sie hatte ein weiteres Problem: Der Sprung den Schacht hinab war eine Kleinigkeit gewesen, selbst in ihrem Zustand, aber nun lag die unterste Sprosse einen guten Meter über ihr, selbst wenn sie die Arme ausstreckte und sich auf die Zehenspitzen stellte. Unter normalen Umständen hätte sie über einen solchen Sprung nicht einmal nachgedacht, aber erschöpft und verletzt, wie sie war, brauchte sie vier oder fünf Versuche, bevor sie das rostige Eisen zu fassen bekam. Und als es ihr endlich gelang, kostete es sie jedes bisschen Kraft, das sie noch aufbringen konnte, sich weit genug in die Höhe zu ziehen, um einen Fuß auf die unterste Leitersprosse zu stellen und ihre gequälten Handgelenke und Schultermuskeln zu entlasten.
    Zitternd vor Anstrengung und mit rasendem Puls hielt sie inne und versuchte, neue Kraft zu schöpfen, aber das Reservoir in ihr war leer. Da war nichts mehr, woraus sie schöpfen konnte. Der schier unerschöpfliche Quell war versiegt; wie eine Oase, deren unterirdischer Zufluss versandet war. Sie hatte zu lange gewartet, zu viel gegeben und zu wenig genommen, und jetzt bezahlte sie den Preis dafür. Für einen Moment glaubte sie noch einmal Horus’ Augen vor sich zu sehen, und das spöttische Glitzern darin, und vielleicht war es einzig diese Vision, die ihr die Kraft gab, sich Hand über Hand und mit zusammengebissenen Zähnen weiter in die Höhe zu ziehen. Wenn sie versagte, dann würde Mrs Walsh den Preis bezahlen, und diesen Triumph würde sie Horus nicht zugestehen. Noch nicht.
    Oben angelangt, sank sie am Rande des Schachtes auf die Knie und konzentrierte sich endlose Sekunden lang auf nichts anderes, als tief ein- und auszuatmen und darauf zu warten, dass die Kraft wieder in ihre Glieder zurückkehrte, was irgendwann auch geschah, aber langsam, qualvoll und nicht einmal annähernd in dem Maße, das nötig gewesen wäre. Aber immerhin reichte es, damit sie sich auf die Füße hochstemmen und loshumpeln konnte. Sie musste sich mit der Linken an der Mauer abstützen, um überhaupt von der Stelle zu kommen und nicht sofort wieder hinzufallen.
    Nach ein paar Dutzend Schritten wurde es besser. Ihre Kraft kehrte nicht zurück, aber sie fand in einen gleichmäßigen, wenn auch langsamen Rhythmus, mit dem sie vorwärtskam, und schließlich – endlich – sah sie auch wieder Licht vor sich. Aber sie hörte auch Stimmen, und es war auch nicht nur das blasse graue Streulicht, das normalerweise hier unten herrschte, sondern der flackernde Schein von Petroleumlampen. Ihre Hoffnung, Mrs Walsh noch irgendwie unbeschadet aus dieser Geschichte herauszubekommen, sank.
    Aber aufgeben hatte noch nie zu ihrem Wortschatz gehört.
    Langsam und weitaus unsicherer als auf dem Hinweg tastete sie sich die Strecke zurück, die sie gekommen war, und hielt mit angehaltenem Atem und klopfendem Herzen inne, als der

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